Mit Schrecken hat Deutschland am 28.09.15 erfahren, dass die Taliban Kunduz angegriffen und erobert haben. Ein Angriff der offenbar minutiös geplant und durchgeführt wurde.
Aber warum haben sich die afghanischen Gotteskrieger ausgerechnet das im Norden Afghanistans liegende Kunduz für ihren spektakulären Angriff ausgesucht?
Die offiziellen Erklärungen vermuten in dem Angriff die strategisch wichtige Lage der Stadt und ihre Bedeutung für die Region. Wenn dies aber der Fall wäre, hätten die Taliban nach ihrer handstreichartigen Eroberung sofort damit begonnen die Stadt zur Verteidigung herzurichten. Denn es musste ihnen bewusst sein, dass die afghanische Armee unter der Beihilfe der in Afghanistan verbliebenen internationalen Streitkräfte sofort nach Bekanntwerden der Eroberung sich bemühen würden die Stadt zurück zu erobern. Aber die Taliban zeigten sich ohne Eile in den Straßen der Stadt und hissten unter den Augen der Bevölkerung ihre Flaggen auf den Häuserdächern.
Als eine der wenigen Städte Afghanistans erlebte die Stadt Kunduz während der Zeit des ISAF-Einsatzes (2001 – 2014) einen nachhaltigen Wiederaufbau, der das Bild der Stadt deutlich zu ihren Gunsten veränderte. Neben den militärischen Maßnahmen erarbeiteten auch eine Vielzahl internationaler staatlicher und nichtstaatlicher Hilfsorganisationen Programme, die die Stadt zu einer Oase in der Wüste der afghanischen Zivilisation erblühen ließ. Vor allem dem Engagement der Deutschen verdankten die Bürger der Stadt sehr viel. Die internationale Staatengemeinschaft errichtete Schulen und Ausbildungsstätten und stattet sie mit Lehrpersonal aus, auch wurde die Infrastruktur bis über die Vororte der Stadt hinaus erneuert oder auch gänzlich neu gebaut, zudem wurden die baufälligen und durch den Bürgerkrieg zerstörten Häuserzeilen wieder hergerichtet und zusätzlich erhielt die städtische Verwaltung internationale Unterstützung und baute eine strukturierte Verwaltung auf. Subsumierend kann man sagen, Kunduz galt auch nach dem offiziellen Abzug der internationalen Militärkräfte als Vorbild für das übrige Afghanistan.
Es war wohl eher dieser Umstand, dass sich die Taliban ausgerechnet Kunduz als Ziel ihrer Militäroperation ausgewählt haben, und nicht ihre Absicht Kunduz gegen die afghanische Armee und ihrer Unterstützer länger zu halten. Sie wollten eher damit erreichen, dass die afghanische und internationalen Sicherheitskräfte selbst die baulichen Einrichtungen, die sie mühsam und teils mit viel Idealismus aufgebaut haben, zerstören.
Die von den US-Militärs zu erwartenden Bombardierungen würden zwangsläufig zusätzlich zu Kollateralschäden bei der Bevölkerung in Kunduz führen und damit den guten Ruf der internationalen Staatengemeinschaft nachhaltig und dauerhaft beschädigen.
Die Botschaft der Taliban ist klar und unmissverständlich: Die internationale Staatengemeinschaft ist KEIN Freund der Afghanen, sondern hat keine Bedenken und Skrupel die eigenen jahrelangen Bemühungen in wenigen Stunden wieder zu zerstören, wenn sie ein anderes Ziel verfolgen.
Den Afghanen wird in diesen Tagen sehr bewusst, dass sie, wenn sie überleben wollen, sich mit den wahren Mächtigen des Landes engagieren müssen – den TALIBAN.
< Umfrage-Ergebnisse der BBC 2015 zu Israel und Deutschland