Paris 14. November, ein schreckliches Verbrechen bewegt die ganze Nation.
War es das, oder verbirgt sich, wie an unbeschrankten Bahnübergängen in Frankreich zu lesen ist, „hinter dem Zug ein anderer“?
Dass IS Schreckliches tut, im Irak, in Syrien, ist weithin bekannt.
Auch handelt es ich bei den Hintermännern, das ist längst keine Vermutung mehr, um
zahlungskräftige Personen oder auch um Vereinigungen aus dem wahabitischen Königreich der Saudis.
Die hat man, hat „der Westen, Jahre lang machen lassen, eher hilflos als entschieden reagierend. Frankreich besitzt eine Luftwaffenbasis in Bahrein, von der aus der IS von Zeit zu Zeit unter Beschuss gerät.
So weit, so gut, wenn man will. Und da kommt über die „Grande Nation“ ein seit dem letzten großen Kolonialkrieg der Feind ins eigene Land, richtet ein Massaker unter unschuldigen Zivilisten an. Die Nation ist wie gelähmt. Die Nation? Ist es nicht jene,
von der die seriöse Frankfurter Allgemeine erst vor einem Jahr schrieb, sie sei unregierbar? Ist es nicht jene, der seit einem Jahrzehnt von der Kommission in Brüssel
ebenso widerwillig wie großzügig Aufschub zur vertraglich verpflichtenden Einhaltung
der für den Euro notwenige Budget-Disziplin gewährt wird?
Nun, was tut ein französischer Staatspräsident wenn es zuhause heißt „rien ne va plus“?
Er begibt sich entweder auf eine Auslandsreise oder... er beweist dem wankenden Staatsvolk seine Willensstärke und sendet das Militär in eine der Krisenregionen, an denen es nicht fehlt.
Und nun dieses Verbrechen, an einem Wochenende, mitten in Paris! Was würde der
Staatspräsident zu normalen Zeiten vernünftigerweise tun? Er würde seinen Ministerrat, eine Krisenzelle im Elysee-Palast zusammen rufen. In normalen Zeiten.
Die sind aber nicht so. Stehen ihm, dem nicht gerade als entscheidungsstarken Präsidenten nicht eine Marine Le Pen von Rechtsaußen und ein Sarkozy, in direkter
Nachbarschaft zu ihr im Rücken? Im kommenden Jahr wird schließlich gewählt...
Da kann sich kein Präsident Hollande, kein Premierminister Vals, Schwäche zeigen. Er wird der Nation seine Willenskraft unter Beweis stellen. Ganz normale Innenpolitik, wenn man so will. Dabei kann es aber nicht bleiben, denn, es muss ein starker Begriff her, einer der die Nation eint: Krieg. Nein, nicht ein Verbrechen, nicht ein Massaker darf
die schlimme Tat eines Wochenende genannt werden. Krieg muss her.
Um dies dann auch unzweifelhaft unter Beweis zu stellen, wird der Präsident vor dem geladenen Kongress in Versailles genau den zwingend begründen: das Land wurde angegriffen, von einer Macht außerhalb des Landes, und damit ist es für ihn Grund, die europäischen Vertragspartner an ihre Beistandspflicht laut Unionsvertrag zu erinnern.
Die in Berlin auch in London, so scheint es, sind nicht geradezu begeistert von der Aussicht, deren Soldaten für ein unlösbares innenpolitisches Paradox Frankreichs in den Krieg zu senden. Krieg, so muss es ja, laut einer unisono sofort wohl „per ordre du Mufti“ dekreditierten Aktion sein.
Und so lässt sich ein ganzer Kontinent aufgrund einer verfahrenen innenpolitischen Situation eines seiner Mitgliedsstaaten in einen Krieg ohne gesicherten, ja ohne wirklich staatlichen Feind hinein ziehen. Dass der Feind, mangels staatlicher Repräsentanz oder
Anerkennung nicht wirklich fassbar ist, dass er sich jederzeit dem Zugriff entziehen, sich atomisieren lassen kann, das fischt den Muskelprotz im Elysee-Palast nicht an.
Wir? Die andern? Nun, die spielen das böse Spiel mit, vielleicht, will man Unkenrufen aus dem Nato-Umfeld Glauben schenken, tun sie das auch, weil sie es – aus ganz anderen, geopolitischen – Gründen schon lange wollten: alle, alle sind plötzlich dabei!
Oder hat lediglich der schlaue Fuchs Vladimir aus Moskau mit seiner überraschenden Entsendung eigener Interventionskräfte nach Syrien so viel Unruhe gestiftet, dass nun ganz schnell – gestern vom Kabinett in London, heute vom Berliner Bundestag, mit komfortabler Mehrheit zu beschließen – unter Beweis gestellt werden muss: Krieg, aber nicht ohne uns! Schamhaft heißt es dann nicht „Krieg“ sondern „bewaffneter Konflikt“.
(andernfalls ja wohl die Genfer Konventionen, z.B. über Gefangene etc. anzuwenden wären).
Wie gesagt, ein Militäreinsatz ohne politische Strategie, ohne einen auch nur annähernd
sicheren militärischen Ausgang. Zunächst „für ein Jahr“, wird dem braven Michel gesagt... Da kann ich nur sagen: denn sie wissen nicht was sie tun!
Das alles, weil ein schwacher gallischer Staatspräsident sich plötzlich entschieden hat, seine – nicht vorhandene – Muskelkraft zu zeigen. Haben nicht bereits 1914 eine Anzahl von Beistandsverträgen, geheimen und weniger geheimen, einen Kontinent in ein Desaster geführt? Damals war es ein Kontinent, heute sind es gleich mehrere.
Günter Schenk, Straßburg, 3. Dezember 2015
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