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29.05.2017

 

Wut im Bauch

 

Seit Monaten steigt die Zahl der Ablehnungen von Asylanträgen. Das trifft auch Unternehmer und Helfer, die sich engagiert haben – und einige wehren sich. Für das Projekt Integration ist die Entwicklung fatal. Von Lea Hampel

 

Pfaffenhofena.d.Ilm – 19 Mandeln liegen unterhalb des Armaturenbretts. Jeden Tag, an dem Christian Gasteiger seinen Mitarbeiter in den vergangenen Wochen nach Hause fuhr, hat der die Kerne geknabbert und seinem Chef welche angeboten. Gasteiger isst nicht gern Mandeln pur. Aber er findet, es gehöre sich, sie zumindest anzunehmen. Ohnehin hat er einiges gelernt in Sachen Geben und Nehmen in den vergangenen Monaten. Landwirt Gasteiger, 34, hat im November 2016 einen Asylbewerber in seinem Familienunternehmen angestellt, bezahlt ihm mehr als den Mindestlohn, gerade wollte er mit dem Bau einer Dienstwohnung beginnen. Da kam vor drei Wochen der Brief vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf): Asylantrag abgelehnt, der Mitarbeiter müsse binnen 30 Tagen das Land verlassen, Gründe gegen eine Abschiebung liegen nicht vor.

 

Seitdem ist Gasteiger, grundsätzlich friedlich, etwas weniger gelassen. Bis zum Schreiben dachte er, das, was er tue, sei der Inbegriff dessen, was sich die Politik von der Wirtschaft für die Integration wünscht. Jetzt sagt er: „Gesunder Menschenverstand und Asylrecht passen einfach nicht zusammen.“

 

Seit Anfang des Jahres steigt die Zahl der abgelehnten Asylbescheide. 32403 Menschen allein aus Afghanistan wurden bis Ende April benachrichtigt, dass sie das Land verlassen sollen. Dass jetzt viele Menschen, die in Lohn und Brot stehen und in der Gesellschaft angekommen sind, gehen sollen, ärgert nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Arbeitgeber. Und es könnte fatale Folgen für das Großprojekt Integration in den Arbeitsmarkt haben.

 

Als 2015 die Zahl der Flüchtlinge stark stieg, halfen nicht nur viele Privatpersonen. Auch Unternehmen wollten einen Beitrag leisten und hegten zudem die Hoffnung, die Ankommenden könnten die Lücken im Arbeitsmarkt füllen. Große Firmen wie die Deutsche Post oder Sixt boten Sprachkurse und Förderprogramme an. Und kleine und mittelständische Betriebe, bei denen der Personalmangel besonders ausgeprägt ist, hängten sich persönlich rein: Mitarbeiter paukten Vokabeln mit Kollegen, Chefs suchten Wohnungen. Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg paarten sich unternehmerischer Pragmatismus und christliche Grundhaltung.

 

Auch bei Christian Gasteiger war es eine Mischung aus Not und Nächstenliebe. In seinem Familienbetrieb in Pfaffenhofen fallen von Staplerfahren bis Hofkehren viele Arbeiten an. Doch es war schwer, jemanden dafür zu finden. Im November 2016 stellte eine Asylhelferin einen Schützling vor, Gasteiger war zunächst skeptisch, „aber das Thema hat mich beschäftigt, drum hab ich es gewagt“.

 

Dem Landwirt und anderen war klar: Einfach wird das nicht. Mindestens 20 Prozent der Ankommenden galten als traumatisiert, konnten kaum Deutsch. Oft war unklar, was sie können, es fehlten Papiere wie der Führerschein, hinzu kam Bürokratie – das kostet Zeit und Nerven. „Als Unternehmer sind Sie schließlich kein Asylrechtsexperte, sondern wollen jemandem aus humanitären und wirtschaftlichen Gründen eine Chance geben“, sagt Hubert Schöffmann von der Bayerischen Industrie- und Handelskammer.

 

Auch bei Gasteigers Mitarbeiter war es kompliziert: Eigentlich hätte er einen Staplerschein gebraucht, den konnte er nicht machen, weil er sich nicht ausweisen kann. Seine Unterkunft ist ein Stück vom Firmengelände entfernt. Morgens gibt es eine Fahrgemeinschaft, abends bringt Gasteiger ihn nach Hause. Dass er und andere Unternehmer das in Kauf genommen haben, hat bis heute einen Grund: positive Erfahrungen. Der neue Kollege, erzählt Gasteiger, sei so zuverlässig, dass er zur Arbeit trampe, wenn die Fahrgemeinschaft ausfällt. „Und sobald nichts zu tun ist, schnappt er sich den Besen.“ Solche Erfahrungen gibt es oft: Bäcker, die Lehrlinge gefunden haben, Wirte, die Spüler beschäftigten. So wurde an vielen Orten aus „dem Asylbewerber“ in wenigen Monaten „unser Flüchtling“.

 

Funktioniert hat das auch, weil lange das Prinzip „zugedrücktes Auge“ galt: Weil die Behörden auf die vielen Zuwanderer nicht vorbereitet waren, hat es gedauert, bis Anträge bearbeitet wurden. Solange zählte der Primat der Praxis: Hatte ein Zugewanderter ein Angebot und einen willigen Arbeitgeber, konnte es schnell gehen mit der Arbeitsgenehmigung, oft reichte ein Anruf. Landauf, landab haben Menschen begonnen, zu arbeiten, sich Wohnungen zu suchen, kurz: ein Leben aufzubauen – fast unabhängig von Begriffen wie „Bleiberechtsperspektive“ und „subsidiärem Schutzstatus“. Das hat sich mit dem Erstarken flüchtlingskritischer Stimmen geändert. Seit im Sommer 2016 das Integrationsgesetz verabschiedet wurde, werden Vorschriften härter durchgesetzt. Weil das Ziel lautet, bis Juni nur noch einen kleinen Bestand Altanträge mit schweren Fällen zu haben, hat das Bamf sein Personal verfünffacht, und, so beurteilt es Migrationsforscher Andreas Blätte, „nun in eine Routine gefunden“. Die lässt die Zahl der Asylentscheide steigen. Für Unternehmen heißt das: Seit Jahresbeginn kommen mehr schlechte Nachrichten.

 

Schwierig ist es für viele Unternehmer aber aus einem weiteren Grund: Zwar gibt es theoretisch nun einheitlichere Regeln. Beispielsweise dürfen Asylbewerber, die eine Ausbildung begonnen oder in Aussicht haben, für diese drei Jahre und danach zwei weitere Jahre bleiben. Doch wie konsequent die Regeln angewandt werden, hängt davon ab, wann und woher der Geflüchtete gekommen ist, wo er landete, und wie gut er mit der Bürokratie umgeht. Das Procedere variiert von Bundesland zu Bundesland, teils von Behörde zu Behörde. Und: Je südlicher in der Republik, desto restriktiver die Ämter, heißt es. Hinzu kommt, dass besonders jene betroffen sind, für die die 3+2-Regelung nicht gilt: Die, die keine Ausbildung durchlaufen oder gleich angefangen haben zu arbeiten.

 

Und so gibt es nun unzählige Fälle, die dem von der Wirtschaft geforderten Prinzip der Planungssicherheit widersprechen und für Verwirrung sorgen: Es gibt junge Menschen in Ausbildung, deren Asylantrag das Bamf ablehnt und schreibt, dass kein Grund gegen eine Abschiebung vorliege. Ob aber wirklich abgeschoben wird, entscheidet die lokale Ausländerbehörde. Es gibt Geflüchtete, die seit Monaten als Spüler arbeiten, fest angestellt sind und Steuern zahlen, nun aber gehen sollen. Unternehmer berichten, dass Ämter zugesagt hätten, dass jemand bleiben dürfe, und dies dann zurücknahmen. Und davon, dass jemandem, der in Bayern gelandet ist, die Abschiebung drohe, während der Rest seiner Familie in Nordrhein-Westfalen Duldungsbescheide bekommen habe.

 

Peter Wiesendanger sitzt im Besprechungsraum seiner Druckerei in Murnau. An der Wand von seiner Firma gedruckte Kalender, ringsum andere Unternehmer, in seinem Bauch: Wut. „Die Trägheit dieses Systems zermürbt die Unternehmen“, sagt er. Er hat das gleiche Problem wie Landwirt Gasteiger: Der afghanische junge Mann, der bei ihm zum Medientechnologen Druckverarbeitung ausgebildet wird, für den er eine Einzelprüfung in Deutsch organisiert hat, den er zur Berufsschule überreden musste, hat eine Absage vom Bamf bekommen.

 

So pragmatisch Wiesendanger und andere eine Situation angepackt haben, die sie sich nicht ausgesucht hatten, so heftig regt sich nun ihre Kampfeslust. Nicht alle sind Fans von Merkels „Wir schaffen das“. Aber Menschen, die hier Arbeit haben, wegzuschicken, finden sie unlogisch. Weil sie im Gegensatz zu Großkonzernen nicht einfach einen Flüchtling ersetzen oder teure Anwälte beschäftigen können, wählen sie den direkten Weg. Wiesendanger hat das Ausländeramt angerufen und den stellvertretenden Landrat. Gasteiger hat seinem Bundestagsabgeordneten geschrieben: Man habe, schildert er auf zwei Seiten, jemanden aus Afghanistan eingestellt, „um unserer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Dies wurde auch vonseiten der Politik immer wieder eingefordert.“

 

Längst geht es ihnen dabei um mehr als nur „ihren Flüchtling“. Es geht um die grundsätzliche Haltung zur Migration. Während die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände noch fordert, die Themen Asyl und Fachkräftemangel zu trennen, sind diese Praktiker schon weiter. Peter Wiesendanger etwa findet, dass beim Bleiberecht darauf geschaut werden solle, wie sehr jemand sich bemüht habe, anzukommen. Er fände ein amerikanisches Prinzip gut, in dem er für seinen Mitarbeiter beispielsweise eine Bankbürgschaft übernehmen könnte. Und Christian Gasteiger wünscht sich, dass das Asylrecht um ein Integrationsrecht erweitert wird. Geben und Nehmen eben.

 

Für beide stellt sich vor allem eine Frage: War der bisherige Einsatz umsonst? „Bei uns vergeht kein Tag, an dem nicht ein Mitarbeiter fragt, ob sich etwas wegen des abgelehnten Asylantrags ihres Kollegen getan hätte“, sagt Wiesendanger. Möglich, dass die Entwicklung nun weitere Unternehmen abschreckt, sich einzusetzen. Christian Gasteiger vergleicht das, was ihm und anderen passiert, mit einem Hausbrand: „Das ist, als hätten Sie die freiwillige Feuerwehr gerufen, um nach erfolgreichen Löscharbeiten zu sagen: Wir wollten das Haus eh abreißen.“

 

Quelle: Verlag Süddeutsche Zeitung

Datum: Samstag, den 20. Mai 2017

Seite 25

 

   

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