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13.12.2017

 

Vorherrschaft im Nahen Osten?

 

 

Nachrichten in deutschsprachigen Medien über den Nahen Osten lieben das Wort „Vorherrschaft“. Offenbar können Politiker, Experten und Journalisten über Konflikte in Syrien, dem Libanon, der arabischen Halbinsel, über Palästina, Ägypten, den Jemen und Libyen gar nicht mehr reden oder schreiben, ohne Iran und Saudi-Arabien zu erwähnen und dann erklärend hinzuzufügen, diese beiden Länder kämpften um die Vorherrschaft im Nahen Osten.

 

Tun sie das wirklich? Wird mit diesem Satz irgendetwas erklärt? Oder soll dieses Mantra nur verschleiern, dass kaum jemand die Rolle Israels in dieser Region öffentlich analysieren will?

 

Was ist eigentlich eine Vorherrschaft? In den Ländern deutscher Sprache gab es einen Kampf um die Vorherrschaft zuletzt zwischen Habsburg und Preußen. Aber dort wollten beide Dynastien jeweils am Ende ganz allein regieren. Das will sicher heute niemand den Kontrahenten im Vorderen Orient vorwerfen. Dann führt also die Suche nach einer historischen Parallele in unserer eigenen Vergangenheit eher in die Irre.

 

Von einem Streben nach Vorherrschaft im Zusammenhang mit den heutigen Auseinandersetzungen im Nahen Osten könnte man viel verständlicher sprechen, wenn damit nur die globale Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland gemeint wäre. Tatsächlich hatten die USA die Unterstützung der syrischen Opposition nach zunächst friedlichen Demonstrationen gegen Präsident Assad mit der Absicht begonnen, den russischen Einfluss in der Region zu mindern. Vollmundig wurde in Washington gefragt, wie könne ein Land in der Region Naher Osten als Global Player auftreten wollen, das zu Hause noch nicht einmal so viel Sozialprodukt erwirtschafte wie der amerikanische Bundesstaat Kalifornien? Heute wissen wir, dass die USA den Kampf um diese Vorherrschaft jedenfalls mit Blick auf Syrien verloren haben.

 

Auf der rein regionalen Ebene bleibt offen, was mit einer Entscheidung in dem angeblichen Kampf um die Vorherrschaft gewonnen oder verloren werden könnte. An welchen inhaltlichen Kriterien ließe sich messen, ob der Einfluss auf die Nachbarländer zu- oder abnimmt? Bei den finanziellen Ressourcen läge Saudi-Arabien vorn; bei den sogenannten human resources Iran – dieser wohl auch bei der militärischen Schlagkraft.


Aber auf keiner dieser Ebenen ist es bisher zu einer direkten Konfrontation gekommen. Es ist auch nicht erkennbar, wie eine Veränderung dieser gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse zu einer Dominanz des einen Staates über den anderen führen sollte. Und religiös würde die Sunna nicht an die Stelle der Shia treten oder umgekehrt, selbst wenn eines der beiden Länder das andere militärisch völlig erobern könnte.

 

Auch ein historischer Rückblick in die Region selbst hilft nicht weiter. Es gibt zwar zwei Anhaltspunkte: Ehe es zur Gründung des Staates Saudi-Arabien kam, hatte der klar von einem Vormachtstreben getriebene Beduinenstamm der Sa’uds erfolgreiche Eroberungskriege gegen fast alle anderen Stämme der arabischen Halbinsel geführt. Aber dabei handelte es sich nicht um eine Krise zwischen Staaten.

 

Das andere war der irakische Versuch unter Saddam Hussein, seinen Machtbereich und seine finanziellen Ressourcen durch Kriege gegen Iran und gegen Kuwait zu vergrößern. Bei diesen missglückten Unternehmungen handelte es sich aber in erster Linie um Versuche militärischer Eroberungen und höchstens sekundär um eine regionale Vorherrschaft. Deshalb lassen die beiden in der Region zu benennenden Fälle keine noch heute relevanten und lehrreichen Schlussfolgerungen zu.

 

Trotz alledem ist unverkennbar, dass die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien nicht nur zugenommen haben, sondern sich in Stellvertreterkriegen manifestieren, deren Unmenschlichkeit bisher durch keinerlei Vermittlungsansätze hätte abgemildert oder gar beendet werden können. Die Kämpfe im Jemen, in Irak und Syrien, mit oder gegen AlQaida oder Isis, die Perspektive eines neuen Bürgerkrieges im Libanon zeigen vielmehr, dass die Entscheidungsträger in Riadh und in Teheran diese Spannungen als äußerst bedrohlich empfinden.

 

Warum das so ist, lässt sich offenbar mit den Worten „Streben nach Vorherrschaft“ nicht beantworten. Auf die Spur einer adäquaten Terminologie gelangt man aber mit anderen historischen Hintergründen für dieses beidseitige Empfinden äußerster Bedrohung.

 

Iran hatte 1953 den Sturz des demokratisch gewählten Premierministers Mossadegh durch eine militärische Aktion der Geheimdienste der USA und Großbritanniens erlebt. Im April 1980 hatten die USA versucht, mit einer dann fehl geschlagenen Kommandoaktion die Geiseln in der in Teheran besetzten amerikanischen Botschaft zu befreien. Seither findet sich Iran auf der „Achse des Bösen“ wieder. Die in dieser Zeit in Iran traumatisch gefestigte Einschätzung lautete: Die USA betreiben Regime Change.
Mit der Rückkehr Chomeinis nach Teheran aus dem Pariser Exil hatte sich die Revolution der Ayatollahs gegen Shah Pahlevi endgültig durchgesetzt und das hieß: die Geistlichkeit übte die Macht aus, nicht mehr eine erbliche Monarchie.

 

Saudi-Arabien dagegen hat zwar die Regelung des religiösen Lebens vollkommen den Geistlichen der sunnitischen Lehre der Wahabiten überlassen. Die weltliche Macht aber liegt ausschließlich bei den Nachfahren des Staatsgründers Abd AlAziz. Das war nicht immer unumstritten. Bevor Abd AlAziz durch die Vertreibung der Hashemiten aus Mekka im Jahre 1932 die ganze Macht übernehmen und sich zum König erklären konnte, hatte er 1926 die schwierigste Hürde zu überwinden: Einen Aufstand mehrerer Stämme, die sich die Forderung der Muslimbrüder zu eigen gemacht hatten, dass auch die weltliche Macht von geistlichen Führern ausgeübt werden solle.

 

Man kann sich den Antagonismus dieses Systemunterschieds zwischen den Regierungsformen Irans und Saudi-Arabiens am besten mit der folgenden Vorstellung verdeutlichen: Würde das heutige iranische Herrschaftssystem auf der arabischen Halbinsel eingeführt, wäre dies das Ende des dortigen Könighauses.

 

Ließe sich dagegen das saudische System in Iran einführen, dann herrschte dort wieder der Shah. Oder noch prägnanter: Selbst wenn beide Seiten weder in Worten noch in Taten irgendeine Politik gegen die andere betrieben, würden sie jeweils dort als Bedrohung empfunden, als das Gegenmodell und damit als die potentielle Ankündigung der wechselseitigen Entmachtung.

 

Saudi-Arabien hat sich spätestens nach Saddam Husseins Angriff auf Kuwait unter den Schutzschirm der USA begeben – nach Kuwait wären in kürzester Zeit die saudischen Ölfelder erobert worden. Allein diese enge Beziehung mit den USA erscheint in Teheran als Ankündigung des nächsten Versuches, einen Regimewechsel in der Islamischen Republik herbeizuführen.

 

Iran hat schon mehrfach beklagt, die shiitischen Minderheiten in Bahrein und im Osten Saudi-Arabiens würden in ihrer freien Religionsausübung behindert. Jedes Mal schrillen dann in Riadh die Alarmglocken. Denn gerade im Osten des Landes liegt der größte Teil der Ölvorkommen. Terroranschläge, ein Aufstand und ein Bürgerkrieg, gar ein Versuch der Sezession – das alles würde das Königreich in eine Existenzkrise stürzen.

Aggressive Verhaltensweisen entspringen oft aus dem empfundenen Bedürfnis, sich verteidigen zu müssen.

 

Erst auf der Grundlage dieser Analyse lassen sich Gedanken entwickeln, wie zumindest der Anfang einer Entspannung aussehen könnte. Iran und Saudi-Arabien haben historische Gründe, Bedrohungssignale ernst zu nehmen. Beide sind eng eingebettet in Beziehungen zu je einer anderen Großmacht, die sich ihrerseits antagonistisch gegenüber stehen.

 

Das muss aber nicht ausschließen, dass in beiden Ländern in absehbarer Zeit die Erkenntnis reift: Die Konfrontation bringt nicht nur Vorteile, sondern auch politische Kosten. In weiten Teilen der Welt wird „der Islam“ nicht mehr als friedfertig empfunden. Würden aber die beiden größten Staaten im islamischen Nahen Osten gemeinsam die Bereitschaft zur Koexistenz sichtbar machen, dann würde es sehr schwer, ihnen die Verantwortung für zunehmende Instabilität in der Region zuzuweisen.

 

Vielleicht könnte eine solche Bereitschaft in Worte gekleidet werden, die konkret ansprechen, von welcher Bedrohung die bisherigen Auseinandersetzungen beflügelt wurden. Als Angriffskriege noch als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln galten, hätte man als beruhigendes Gegenrezept wohl von der Möglichkeit eines Nicht-Angriffspakts gesprochen. So wie beim Briand-Kellog-Pakt von 1928.

 

Statt militärischer Drohung gibt es heute subtilere Wege, bei einem Gegner Überlebensängste zu schüren. Das gefährdende Stichwort heißt: „regime change“. Stellen wir uns also einmal vor, ein saudischer König und ein Großayatollah als iranischer Führer würden übereinstimmend erklären, ihre Politik gegenüber dem Nachbarland lasse sich in den Worten zusammenfassen: „No regime change“.

 

Das könnte Wunder wirken. Beide Länder haben in der Vergangenheit viel Kritik auf sich gezogen. Zu Recht oder nicht – gemeinsam muss ihnen daran gelegen sein, die Reputation ihrer Länder und ihrer Religionen zu pflegen. Ganz konkret hieße dies für die Wirtschaft, dass ausländische Investitionen und technologisches know how leichter angelockt würden, wenn weniger politische Risiken eingepreist werden müssten. Denn der beiderseitige Gewinn würde umso eher greifbar, je früher nach einem solchen Signal Gespräche möglich würden, wie das Versprechen einzuhalten wäre.

 

Die Namen der beiden Staatsoberhäupter könnten in der Zukunft für ein historisches Ereignis stehen – für den Beginn einer Phase der regionalen Befriedung und der Zusammenarbeit. Sie würden zu Symbolen einer wirklichen Souveränität ihrer Länder, auch gegenüber größeren Mächten. Diese Politik hätten sie selbst eingeleitet.

 

[«*] Dr. Gerhard Fulda ist Botschafter a.D., Vizepräsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft und BIB-Gründungsmitglied.

 

Siehe: http://www.nachdenkseiten.de/?p=41199

Der Artikel ist auch in englischer Sprache verfügbar.

 

Dateien:
Supremacy-in-the-Middle-East.pdf500 K

   

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