Die Gnaoua haben ihren Maler. Mohammed Tabal ist selbst Gnaoua und malt ihre Riten – zu Gnaoua Musik und in Trance. 1988 taucht Mohammed Talal mit vier seiner Erstlingswerke in der Kunst-Galerie des in Essaouira lebenden dänischen Kunstmäzens Frédéric Damgaard in der Avenue Oqba Ibn Nafiaa auf. Damgaard ist nicht da und ein Angestellter nimmt die Bilder entgegen. „Der Maler holt sie gleich wieder ab“, sagt er zu Damgaard, als dieser die Galerie betritt und auf die Gemälde wie elektrisiert reagiert. Was Damgaard da sieht, hat für ihn fast die Ausstrahlung der Tahiti-Bilder von Gauguin. Die erste Begegnung mit den Bildern dieses Malers in der immer noch erfolgreich existierenden, sehr sehenswerten Kunst-Galerie Frédéric Damgaard ist wohl für jeden Besucher unvergesslich. Mancher vergleicht die Bilder mit den naiven Malereien großer Künstler in Haiti. Mohammed Tabal versteht es meisterhaft, die Riten der Gnaoua auf der Leinwand, die in Farben und Formen zu explodieren scheint, zu zelebrieren.
„Wir haben unsere eigene Sprache und eigenen Begriffe. Die Gnaoua sind eine religiöse Bruderschaft, unsere Riten, Musik und Tänze sind in allen Einzelheiten genau festgelegt, jede Kleinigkeit hat eine bestimmte Bedeutung. Die Musiker sind Trommler und Guimbri Spieler. Frauen tanzen mit Kerzen nach genau vorgeschriebener Weise. Nichts wird dem Zufall überlassen. Sidi Mimun heißt der Ritus, wobei eine Frau sich um das Licht (Kerzen) kümmert. Der Tanz der Männer enthält große Sprünge, sie werden nach der Tradition (Cadat) von Schellen, Trommeln, Guimbri und Gesang des Sidna Bilal, des Muezzin des Propheten, begleitet. Es gibt immer einen männlichen (meksa) Teil und einen weiblichen (uqba) Teil. Uqba hat allein vierzig Lieder. Die Farben spielen eine wichtige Rolle. Bei unseren nächtlichen Festen, auch „derdeba“ genannt (Nächte der Gnaoua) tragen die Teilnehmer verschieden farbige Kleidung, die sie während der einzelnen Riten entsprechend wechseln. Jede Farbe hat mindestens eine spezielle Bedeutung. Die weiß Gekleideten kommen aus Mekka. Weiß bedeutet auch: Gott. Die schwarz Gekleideten sind die Boten des Todes. Blau bedeutet: Meer, Sperma und Himmel, wobei oft Sperma mit Himmel gleichgesetzt wird. Die Roten repräsentieren das Blut. Die Grünen sind die Nähe zu Gott. Vor den Grünen kommt die Ruhe, d. h. alle Instrumente müssen schweigen. Gelb bedeutet das Sonnenlicht. Bei unseren Festen tanzen die Farben je sieben Mal. Die Reihenfolge der Farben weiß, schwarz, blau, rot, grün und gelb ist wichtig. Jeder Tanz, jede Geste, jede Szene, z. B. wenn eine Frau beim Tanzen eine Schale mit Wasser auf dem Kopf trägt (Sidi Moussa), hat eine bestimmte Bedeutung. Die Musik und die Tänze, die wir in der Öffentlichkeit aufführen, entstammen ausschließlich nicht den religiösen, sondern den profanen Teilen unserer traditionellen Feste“.
„La Lila“ heißt z. B. ein Gemälde, in dem die Flammen der Trance, in der die Gnaoua-Rhythmen oft enden, die schwarz gekleidete Frau fast verbrennen, während der Meister der Zeremonie den Tanz mit seiner Guimbri beherrscht und lenkt – geschmückt mit der Kauri-Muschel-Kappe und der breiten, mit Kauri-Muscheln besticken Schärpe. Mohammed Tabals Gemälde sind Ausdruck der schwarzen Maghrebiner, deren Kult mit Trance verbunden ist – ähnlich dem Voodoo-Kult in Haiti. Ein weiteres Gemälde mit dem Titel „Das Opfer“, welches beim Gnaoua-Kult eine zentrale Rolle spielt, zeigt in bewegender Intensität die Braut, die das frische Blut des soeben geopferten Tieres trinken muss.
Auch Geister (Djinnen) spielen in seinen Bildern eine Rolle – „Sie existieren wirklich, denn sie werden im Koran ausdrücklich erwähnt“, so der Künstler. „Ich wurde 1959 in Tulaba, einem kleinen Ort in der Region Essaouira geboren und habe mich schon als kleiner Junge als Autodidakt mit Bleistiftzeichnungen beschäftigt. Mein Vater ist Gnaoua, er hat mich hinsichtlich der Malerei nicht unterstützt, aber von meiner Mutter habe ich immer viel Ermutigung erfahren. Seit 1989 hatte ich viele Ausstellungen in verschiedenen Städten Marokkos, außerdem in Dänemark, Schweiz, Belgien, Frankreich, England und Deutschland (1992, 1993 und 1994). Ich male meine Bilder im Zustand der Trance. Die Gnaoua-Musik durchdringt meinen Körper und ich werde zu ihrem Instrument. Ich mache vorher lediglich Bleistiftskizzen, die Farben entstehen dann „automatisch“. An einem Bild male ich etwa 2-3 Wochen“. Die Bilder schreien seine Wahrheit hinaus, seine Geschichte und die seiner früheren Sklavenbrüder. Die Gewalt, die einige der Bilder ausdrücken, ist eine Inkarnation afrikanischer Kunst.
Infos:
Das berühmte Gnaoua-Festival in Essaouria findet jedes Jahr im Juni statt, eine gute Gelegenheit, Kunst und Kultur der Gnaoua kennenzulernen. (www.festival-gnaoua.net)
Seit Oktober 2010 gibt es in Marrakesch - erstmals in Marokko - eine internationale Messe für zeitgenössische Kunst, die jährlich stattfinden soll.
(www.marrakechartfair.com)
Text und Fotos von Barbara Schumacher
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