von Barbara Schumacher
Wer sich noch einmal vergegenwärtigen möchte, wie der „Arabische Frühling“ entstand, dem sei die Lektüre dieses Buches empfohlen. Auch die oft in Vergessenheit geratenen früheren Revolten in den entsprechenden Ländern werden in ausführlicher Form ins Gedächtnis zurückgerufen. Bekannterweise lässt erst der Blick in die Geschichte Zusammenhänge erkennen. Namhafte Experten wie Ulrich Tilgner, Heiko Flottau und Muriel Asseburg (Inhaltsverzeichnis und Vorwort finden Sie hier) stellen ihre Analysen vor, die dazu beitragen, Licht in die inzwischen unüberschaubare Gesamtproblematik zu bringen. Fragen zu den möglichen Auswirkungen auf den Mittleren Osten, den Maghreb, Russland und die „westliche Welt“ und viele andere Fragen bleiben naturgemäß offen, dazu ist die Materie zu komplex. Immer wieder geht es um die Rolle Europas und vor allem die moralische Verantwortung Deutschlands. Auch das Thema der Trennung von Staat und Religion wird angesprochen (die es in der arabischen Welt nicht geben wird - persönliche Meinung).
Zu den lesenswertesten Beiträgen gehört das großartige Vorwort von Klaus Gallas und Udo Steinbach zum Thema „Ost und West, Islam und Christentum: Zusammenprall zweier Zivilisationen?“ Als Kernsätze seien zitiert: „Bei allen Unterschieden von Geschichte, Kultur und Religion stehen die europäischen und arabischen Länder auf gemeinsamem Grund. Jahrzehntelang hat „der Westen“ mit einer Mischung von Dünkel, Mitleid und Pseudoexptertentum auf „die Araber“, „die Muslime“ hinabgeschaut, die zur Demokratie gleichsam genetisch nicht fähig seinen. Die arabische Revolte, der syrische Aufstand haben eine neue Perspektive eröffnet: Wir sind alle den Werten der Humanität verpflichtet. Die Freiheit ist die Conditio sine qua non“.
Nach geäußerten Hoffnungen und Schilderungen eher düsterer Aussichten, wie z. B. in Ulrich Tilgners Beitrag „Irak – Alltag mit Krieg und Terror“, der auch aufschlussreiche Hintergrundinformationen zu Al Qaida und ISIS enthält, mag sich der Leser am Ende fragen, ob die Sicht westlicher Experten ein vollständiges Bild der Lage gibt, vor allem im Hinblick auf die Zukunft. Können westliche Fachleute Fragen beantworten, warum der abgrundtiefe Hass zwischen Schiiten und Sunniten besteht, warum Vetternwirtschaft, unvorstellbare Korruption und das Gebot der Sicherung von Stammespfründen dafür sorgen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in Armut und Unwissenheit versinkt und sich – des Lesens und Schreibens unkundig – bei Wahlen Muslimbrüdern anschließt und warum ……
Hat westliche Denkweise überhaupt eine Chance, die bestehenden Konflikte in Afghanistan, Iran, Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien, Palästina, Syrien, Irak, Türkei, Russland, um nur einige Länder zu nennen, zu verstehen? Als bei einem life Radiointerview bei NDR 1 Radio Niedersachsen am 7. August 2014 der im sicheren Studio in Hannover sitzende Moderator die Reporterin in Gaza fragte, ob die Palästinenser, angesichts des sie umgebenden Desasters, nun von der Hamas „die Nase voll“ hätten, antwortete die Reporterin: „Das Gegenteil ist der Fall. Alle Palästinenser, mit denen ich gesprochen habe, sind stolz auf die Hamas, sprechen von ihrem gesteigerten Hass gegen Israel und schwören Rache“.
Klaus Gallas (Hg.): Orient im Umbruch – Der Arabische Frühling und seine Folgen, 160 S., Br., 135x210 mm, ISBN 978-3-95462-308-2, Preis: 12,95 €
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