Die DAG veröffentlicht regelmäßig Rezensionen von Büchern, die sich mit der arabischen Welt befassen. Die Buchrezensionen behandeln den arabischen Raum meist aus politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Sicht.
Mit einem Vor- und Nachwort von Navid Kermani
„Eine Druse von Amethyst, gefüllt mit Tausenden von dicht gedrängten Kristallen und von einem silbergrünen Bande eingefaßt. Das war Fes, die alte Stadt Fes im Abendlicht. Als wir bergab auf sie zugingen, dehnte sich ihre Mulde zusehends aus; die vielen einförmigen, aber unregelmäßig aneinandergewachsenen Kristalle zeichneten sich deutlicher ab, hell auf der einen und dunkel angehaucht auf der anderen, dem Wetter ausgesetzten Seite, und zwischen ihnen und dem silbergrünen Gürtel der Olivenhaine wurde die alte Stadtmauer mit ihren Türmen sichtbar…“
In einer Sprache voller Poesie legte Titus Burckhardt seine kunst- und kulturgeschichtliche Beschreibung von Fes nieder. Diese in Jahrhunderten gewachsene Siedlung, im Norden Marokkos zwischen Mittlerem Atlas und dem Atlantik gelegen, ist eine der vier Königsstädte Marokkos. Sie ist für den Autor die ‚ideale islamische Stadt’.
Der vielfach ausgezeichnete deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani, der mit sechs Werken in diesem Verlag vertreten ist (s. Verlagsprogramm im Anhang), schrieb Vor- und Nachwort. Im Vorwort erfahren wir wichtige Eckpunkte zum Leben des Autors und der Entstehung des vorliegenden Bandes.Titus Burckhardt wurde 1908 in Florenz in eine gelehrte Basler Familie geboren. Sein Vater Carl war Bildhauer, sein Großonkel Jacob Burckhardt gilt als der bedeutendste Kultur- und Kunsthistoriker des 19. Jahrhunderts. Titus führte die Tradition fort, er beschäftigte sich darüber hinaus mit der Ästhetik und Spiritualität des Islams, wesentliche und wichtige Komponenten dieser Religion. Doch sie werden heute im Bewusstsein der Öffentlichkeit zum Bedauern Navid Kermanis vom politischen Geschehen in der islamischen Welt überlagert.
Der junge Burckhardt studierte Kunstgeschichte und Orientalistik, brach das Studium jedoch ab und reiste 1933 nach Fes. Dort wollte er nicht nur seine arabische Sprachfertigkeit vertiefen, sondern sich der islamischen Mystik, dem Sufismus, widmen. Jedoch, der französischen Protektoratsverwaltung suspekt geworden, verwies sie ihn des Landes. Erst als Marokko 1956 seine Unabhängigkeit erlangt hatte, konnte er wieder zurückkehren. In dieser Zeit entstand das vorliegende Buch, von dem Kermani sagt, dass man dankbar sein muss „für eine der tiefsinnigsten Darstellungen des gelebten Islam, die im 20. Jahrhundert geschrieben worden sind“.
In den 70er Jahren beauftragte die UNESCO Titus Burckhardt, zu Fes ein detailliertes Konzept für den Erhalt der historischen Altstadt und des traditionellen Handwerks zu erarbeiten. 1980 legte er das Ergebnis vor, einen umfangreichen „Masterplan für Fes“. Damit und in seinem Engagement in der internationalen Kampagne zum Erhalt von Fes hat er die Stadt vor Modernisierungsmaßnahmen gerettet. Seit 1981 steht sie als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. Drei Jahre später starb der Wissenschaftler in Lausanne.
Titus Burckhardt beschrieb einen Orient, den er auf mannigfaltige und intensive Art und Weise selbst erleben durfte. Er genoss die traditionelle Gastfreundschaft, sprach mit muslimischen Gelehrten, besuchte Moscheen und Hochschulen und unternahm Pilgerreisen.
Aus vielen Eindrücken zeichnet er ein farbiges Bild von Fes in den dreißiger Jahren, das er in sieben großen Kapiteln dem Leser auf literarische Weise nahebringt. Die Texte werden zudem durch Zitate von arabischen Dichtern und muslimischen, ja auch christlichen Gelehrten, französischen und italienischen Gesandten sowie Koranversen aufgelockert.
Das erste Kapitel ist den Begriffen „Stadt und Wüste“ gewidmet. Das politische Schicksal der Völker, die auf dem breiten Landstreifen zwischen Mittelmeer/Atlantik und Sahara leben, wird von dem Gegensatz zwischen Nomaden und Sesshaften geprägt. Mit den unterschiedlichen Stämmen der Beduinen beginnend, folgen Ausführungen zu Kultur und Zivilisation. Die Islamisierung Nordafrikas geht einher mit der Gründung von Fürstentümern, Kalifaten. Einflüsse aus Europa kulminierten mit dem Einmarsch der Franzosen 1907 an der atlantischen Küste.
„Das Kalifat“ bringt uns Titus Burckhardt im zweiten Kapitel näher; in seiner Entstehung und seinem Wesen, beispielhaft am Geschick des maghrebinischen Kalifats. Das folgende, „Die Stadt des Heiligen Idris“ beschreibt die Gründung von Fes im 9. Jahrhundert und seine Entwicklung. Fotos und Pläne veranschaulichen die Ausführungen.
Im vierten Kapitel „Das Haus“ lässt uns Titus Burckhardt teilhaben an der Architektur des muslimischen Hauses und dem privaten Leben der Familie in seinen Mauern. Details erfahren wir zur typischen Zierkunst an den Bauten, wie die Muster der Wandmosaiken, Zierrate aus Stuck und Zedernholz, Flechtwerk aus Steingut und nicht zuletzt den ‚maurischen Bogen’.
Das nächste Kapitel „Das Überlieferte Wissen“ beginnt der Autor mit den Worten:
„Im maurischen Spanien hatte das Wissen einen so hohen Stand erreicht, daß es nicht nur auf den Maghreb, sondern auch auf die ganze lateinische Christenheit jener Zeit ausstrahlte.“
Er berichtet des Weiteren von einem Besuch bei Mulay Ali, einem Gelehrten in Fes, mit dem er über die Wiederkunft Christi diskutierte, die in der islamischen Überlieferung verankert ist. Und über die Hochschule al-Qarawin, in der dieser ehrwürdige Greis lehrte. Kurze Unterkapitel behandeln u. a. die arabische Sprache, den Koran, die sufische Weisheit und den Fastenmonat Ramadan. Im Kapitel „Die Goldene Kette“ führt Titus Burckhardt in die Mystik ein - in welcher er den geistigen Höhepunkt der maghrebinischen Kultur sieht – und stellt ihre berühmtesten Gelehrten aus Fes und dem Maghreb vor.
Unabwendbar war „Der Einbruch der Modernen Welt“, den der Autor an den Ländern Marokko und Algerien nachvollzieht und damit seine Ausführungen beschließt. Es folgt das Nachwort von Navid Kermani „Die heilige Verirrung – Fes heute“. Er verirrt sich im Gassengewirr der Altstadt… und stellt erleichtert fest - Fes hat sich nicht verändert, seit Titus Burckhardt dieses Buch geschrieben hat.
Das bibliophil gestaltete Buch ist wunderbar zu lesen, lässt uns das alte – und alt gebliebene – Fes erleben, eingebettet in die politische, kulturelle und geistige Region des Maghreb. Quellenverzeichnis und Personenregister sind selbstverständlich. Fürwahr, eine wertvolle Bereicherung der Neuen Orientalischen Bibliothek aus dem Verlag C. H. Beck!
Helga Walter-Joswig
Neue Orientalische Bibliothek
Verlag C. H. Beck, München 2015
219 Seiten mit 47 s-w Photographien und 25 Zeichnungen von Titus Burckhardt
Leinen € 26,95 eBook € 21,99
ISBN 978-3-406-68288-9
»Desinteressierte Großmächte, alte Rivalitäten: Der Megatrend im Nahen Osten ist der Zerfall der regionalen Ordnung.«
Inhalt
Zu Beginn des neuen Jahrtausends hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass der Nahe Osten derart durcheinandergeraten würde: Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi sind Geschichte; im Kampf gegen den Islamischen Staat kommt es zu einer Annäherung zwischen dem Westen und dem Iran; Syrien oder Irak könnten von der Landkarte verschwinden. Und Länder, die aus geopolitischen Interessen immer wieder in der Region interveniert haben, vermitteln den Eindruck, als würden sie sich nun am liebsten heraushalten.
Auch jenseits der Tagespolitik zeichnet sich ab, dass die 1916 mit dem Sykes-Picot-Abkommen etablierte Ordnung an ihr Ende gelangt sein könnte – ein Umbruch, wie ihn die Welt seit dem Zerfall der Sowjetunion nicht mehr erlebt hat. In dieser Situation unternimmt Volker Perthes den Versuch, aktuelle Verschiebungen in längere historische Entwicklungen einzuordnen, die wesentlichen regionalen Mächte zu identifizieren und Szenarien für eine Post-Sykes-Picot-Ära zu skizzieren.
D: 14,00 €
A: 14,40 €
CH: 20,90 sFr
Erschienen: 08.08.2015
Broschur, 144 Seiten
ISBN: 978-3-518-07442-8
Hier der Link zu einer Rezension in der NZZ am 28.01.2016.
17.11.2015
Unter der Flagge der Besatzer
Die Golfstaaten unter britischer Vorherrschaft im 19. Jahrhundert
von Sultan Bin Muhammad Al-Qasimi
Sultan Bin Muhammad Al-Qasimi von Sharjah hat im Jahre 2015 beim Olms Verlag sein neuestes Buch „Unter der Flagge der Besatzer – Die Golfstaaten unter britischer Vorherrschaft im 19. Jahrhundert“ veröffentlicht. Darin behandelt er ausgewählte Vorfällen und Vorgängen der Shaikhs aus der Region der heutigen Vereinigten Arabischen Emirate, die sich während der britischen Kolonialzeit ereigneten.
Der Autor orientiert sich bei seinen Erzählungen an der Herrschaft von Shaikh Sultan bin Saqr bin Rashid, welcher ab 1803 als einflussreicher Shaikh, über Sharjah und Umgebung herrschte. Diese bedeutende historische Persönlichkeit wurde von der wahabitischen Bewegung aus dem großen Nachbarland sowie den Briten und den Nachbarreichen bedrängt. Die Handels- und Perlentauchernation Sharjah war auf den Schiffsverkehr angewiesen, der von der britischen Ost-Indien-Kompanie kontrolliert wurde.
In dem Buch beschreibt Sultan Bin Muhammad Al-Qasimi sehr detailliert verschiedene Vorkommnisse, Zerwürfnisse, Überfälle und Auseinandersetzungen zu Shaikh Sultans Amtszeit und wie diese international behandelt wurden. Authentisch werden die Aktionen der einzelnen Akteure nacherzählt und in ihren zeithistorischen und politischen Kontext eingeordnet. Dank sehr präziser und ausführlicher Quellen zur britischen Herrschaft in der Region, können auch Briefverkehr und Daten werden.
Die gute Recherche wird durch die genaue Nennung von Namen, Verwandtschaftsverhältnissen und Örtlichkeiten belohnt. Doch nicht nur die Werke der Historiker, Journalisten und ortskundigen Persönlichkeiten bilden die Zielgruppe und Projektionsfläche dieses Buches. Auch der Laie gewinnt tiefe Einblicke in diese Epoche. Wie wurden Entscheidungen getroffen? Wie war die Gesellschaft organisiert? Wie wurden Konflikte beigelegt und wie der Handel organisiert?
Aus erster Hand vermittelt „Unter der Flagge der Besatzer“ eine Fülle von Informationen über das Emirat, seine Historie, seine Menschen und seine Staatwerdung. Dabei hilft ein sorgfältig zusammengestelltes verlässliches und erschöpfendes Quellenregister und eignet sich vorzüglich als Nachschlagewerk und zur Quellenarbeit. Lesern, die nur einen kursorischen Kenntnissstand über die Thematik haben verlangt dieses Werk Geduld beim Einlesen ab. Diese wird aber belohnt durch köstliche Einblicke in die Region, eleganten Ausführungen geben die historischen Begebenheiten plastisch wider.
Das Buch kann auch als Aufarbeitung der Rolle des arabischen Golfs im 19. Jahrhundert verstanden werden, als dessen Küste noch als Piratenküste verrufen war. Diese Eindrücken will Sultan Bin Muhammad Al-Qasimi mit einer Präsentation von Beispielen zurechtrücken..
Alles in einem ist das Buch aus mehreren Perspektiven interessant und vielfältig verwendbar. Es ist ein Beitrag zur historischen Aufarbeitung und eine wertvolle Rekonstruktion der Ereignisse des 19. Jahrhunderts der Frühzeit der Emirate unter britischer Kolonialherrschaft.
Übersetzt von Stefanie Kuballa
2015, 216 S., mit einer Karte und vier farbigen Abb., Leinen mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-487-08568-529,80€
Olms Presse
Nehal Leheta
nach Rezepten von Abou El Sid.
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Die Autorin Nehal Leheta hat schon verschiedene bekannte Restaurants in Ägypten entworfen; mit Begeisterung hat sie den Köchen bei ihrer Arbeit zugesehen. Das Resultat dieser Leidenschaft ist ihr 2015 im Georg Olms Verlag erschienenes Kochbuch Authentisch ägyptisch kochen – nach Rezepten von Abou El Sid. Die Rezepte verbinden die traditionelle ägyptische Küche mit den Gerichten des bekannten und mehrfach ausgezeichneten Kairoer Restaurants Abou El Sid, das nach dem gleichnamigen Kairoer Koch benannt ist, der zu Zeiten des Sultanats für seine gute Küche und seine Großzügigkeit bekannt wurde.
Diesem hohen Anspruch aus Tradition und Geschmack wird die Gestaltung des Buches voll gerecht, das mit schönen Bildern, glanzvoller Verarbeitung und passendem Design mehr als nur Rezepte, nämlich einen Hauch Geschichte und Kunst vermittelt.
Nach einer Einführung in die ägyptische Küche und zugleich die ägyptische Kultur bietet dieser Band mit seinen unterschiedlichen Anleitungen jeweils einen kurzen Kommentar zu jedem Gericht und seinen Zutaten. Das lässt den Leser besonders tief in die durch viele Jahrhunderte tradierte Kochkunst eintauchen.
Das Inhaltsverzeichnis gliedert die Speisen klassisch in Suppen, Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts. Vor den Rezepten finden die Grundprodukte Erwähnung und werden erklärt. Am Ende des Buches befindet sich der Index mit verschiedenen Zutaten so wie die Seitenangaben zu den jeweiligen Gerichten, so dass ein gewünschtes Gericht schnell aufgefunden werden kann.
Die Auswahl der Gerichte ist vielfältig und enthält auch vegetarische und vegane Speisen. So kommen alle Genießer auf ihre Kosten, alle Gerichte sind bebildert.
Auch Aufbau und Präsentation der Zutatenliste und die Schritt-für-Schrittanleitung überzeugen. Die benötigten Zutaten sind verständlich und präzise präsentiert, also nicht nur die Anzahl der Gemüsearten, sondern zur besseren Orientierung deren Gewichtsangaben in Gramm. Die Angaben beziehen sich zumeist auf zwei bis vier Portionen, womit der Leser je nach Appetit auch gut hinkommt. Mit gewisser Kochroutine erweist sich die Zeitangabe als sehr präzise und erleichtert die Planung sehr. Die Zubereitung mithilfe der Anleitung lässt wenig Platz für Fehler, liefert jedoch viele Anregungen, um bei Bedarf und Wunsch Gerichte anzupassen und ihnen eine eigene Note zu verleihen. Folgt man den Anweisungen, gelingen die Gerichte und halten das, was die Bilder und Erwartungen versprechen. Denn es finden sich leichtere wie komplizierter zuzubereitende Speisen darunter, doch keine, die für einen Hobby- oder Gelegenheitskoch außerhalb des Machbaren lägen.
Insgesamt überzeugt die Auswahl der über 60 Gerichte und die Verflechtung von Landeskunde, Tradition. Die Kulinarik von Nehal Leheta und macht Lust auf mehr. Ihr Kochbuch verspricht langfristiges Koch- und Essvergnügen und hält für verschiedene Anlässe das richtige Rezept bereit.
Nehal Leheta ist als Innenarchitektin in Kairo tätig und designt mit Vorliebe Küchen. Sie gestaltete einige ägyptische Restaurants und ist Mitbegründerin von Design Point, einem Unternehmen für Architektur und Raumausstattung.
Deutsche Fassung von Ursula Fabian. 2015. 144 S. durchgehend 4 farbig illustriert. Gebunden.
Der Autor, ein uns längst bekannter Islamwissenschaftler, lehrte und forschte an der Universität Tübingen. Heinz Halm hat bereits mehrere Standardwerke zum komplexen Thema Islam publiziert, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Das vorliegende Werk gibt einen komprimierten Einblick in Geschichte und Kultur der Araber von der vorislamischen Zeit bis in die Gegenwart. Bereits 2004 ist die erste Ausgabe erschienen, die wir wie einige andere Arbeiten des Autors hier präsentiert hatten.
Das Material ist in neun Teile strukturiert. Gut 120 Seiten der vorliegenden Ausgabe sind identisch mit der ersten, das heißt von Kapitel I ‚Das vorislamische Arabien’ bis VII ‚Zu Beginn des 21. Jahrhunderts’. Neu sind die letzten Kapitel ‚Arabischer Frühling?’ und ‚Bilanz’.
Zu Beginn erklärt Heinz Halm den Namen, die Herkunft und die Sprache der Araber sowie chronologisch die Spannungsfelder, in denen die Stämme im Laufe der Geschichte gerieten: Die Araber in hellenistischer Zeit, zur Zeit der Römer sowie die Situation zwischen Byzantinern und Persern. – Der zweite und umfangreichste Teil behandelt vornehmlich die Entstehung des Islam mit den weitläufigen Eroberungen und anschließender Islamisierung und Arabisierung der unterworfenen Völker. Wichtig ist die Nachfolge des Propheten - wer sind die Erben Mohammeds? Es bildeten sich zunächst Kalifate der Umayyaden und Abbasiden. Zu Letzterem wurde 909 im tunesischen Kairouan ein Gegenkalifat gegründet, das der Fatimiden. Dieses führt in Teil III ‚Die arabische Welt vom 10. bis 15. Jahrhundert’ ein. Trotzdem blieb Bagdad als Sitz des abbasidischen Kalifats lange Zeit Mittelpunkt der islamischen Welt. Neben dem Irak wird hier auch die Geschichte der Länder Syrien/Palästina und Ägypten sowie des Mahgrib und al-Andalus angeschnitten.
Teil IV ‚Die arabische Welt von 1500 bis 1800’ umreißt auf wenigen Seiten den Fruchtbaren Halbmond unter den Osmanen, die Herrschaftsverhältnisse auf der Arabischen Halbinsel, in Ägypten und dem Maghrib. Die anschließenden Abschnitte gehören dem 19. und 20. Jahrhundert und den Auswirkungen der Weltkriege auf die arabischen Länder. Die Errichtung von Kolonien brachte bis in unsere Zeit große Umwälzungen mit sich, darunter die Europäisierung von wichtigen Teilen der arabischen Welt. Als Folge entstand unausweichlich eine islamische Erneuerung mit einem erwachenden Nationalismus. Die Themen ‚Staatenbildung und Unabhängigkeit im 20. Jahrhundert’ beenden diesen Zeitabschnitt.
Mit der ‚Zweiten Intifada’ beginnt Teil VII ‚Zu Beginn des 21. Jahrhunderts’ und endet mit dem zweiten Krieg gegen den Irak im Jahre 2003. In Teil VIII wird der Begriff für die Freiheitsbewegung ‚Arabischer Frühling?’ - wie von anderen Wissenschaftlern auch - von Heinz Halm mit einem Fragezeichen versehen. Dessen Verlauf und seine Auswirkungen skizziert der Autor im Maghrib, in Ägypten und dem Sudan, auf der Arabischen Halbinsel, in Jordanien, Palästina und dem Libanon sowie in Syrien. Die letzten Sätze dieses Kapitels gelten dem ‚Islamischen Staat (IS)’, „ein Produkt des irakischen Bürgerkriegs“, schreibt Heinz Halm. Diese Organisation habe sich zum erfolgreichen Konkurrenten des internationalen Terrornetzwerks al-Qa’ida (die Basis) entwickelt. – Die ernüchternde Bilanz, die der Autor am Ende seiner Ausführungen zieht, wurde und wird in den täglichen Nachrichten bestätigt:
„Wer sich von den Bewegungen in Tunesien und Libyen, Ägypten und Syrien mehr Demokratie und Pluralismus, Fortschritte in der Menschenrechtsfrage oder friedliche Konfliktlösungen in der Region erhofft hatte, wurde enttäuscht“.
Lediglich in Tunesien, Ausgangspunkt der Bewegung, konnte sich ein demokratisches System etablieren, andere Staaten blieben im Status quo. Dagegen wurden Libyen, der Jemen, Syrien und der Irak zu ‚failing states’, ein Schicksal, das auch dem Libanon droht. Heinz Halm mutmaßt, dass die Ausrufung des Kalifats durch den IS „einen Einschnitt in der Geschichte der Araber“ darstellt, „dessen Folgen noch nicht abzuschätzen sind“.
Zwei Landkarten veranschaulichen die Ausdehnung des Islamischen Reiches vom Tode des Propheten (632) bis zum Sturz der Umayyaden (750) sowie die Mitgliedstaaten der Arabischen Liga; nützlich sind des Weiteren Literaturhinweise und ein Personenregister im Anhang. Fazit: Ein höchst informatives Buch aus der inzwischen in Millionenauflage erschienenen Reihe WISSEN des C.H. Beck Verlags, das kurzgefasst die politischen und religiösen Hintergründe zu den furchtbaren Geschehnissen liefert, die heute die arabische Welt erschüttern.
Helga Walter-Joswig
München 2015
C.H. Beck Wissen
brosch., 144 Seiten mit 2 Karten, € 8,95
ISBN 978-3-406-68284-1
Die Autorin, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Freiburg, erzählt die Geschichte Ägyptens in islamischer Zeit, das heißt von der römischen Provinz und islamischen Eroberung bis zum Arabischen Frühling in unseren Tagen.
Im Vorwort stellt Johanna Pink fest, dass nach dem Arabischen Frühling eine Reihe von Büchern erschien, die sich mit der unmittelbaren Vorgeschichte, den Ursachen und Folgen des Umsturzes befassen. Jedoch fehlt es auf dem deutschen Buchmarkt an einer Abhandlung zur Geschichte, die erklärt, wie das Land zu einem Teil der arabischen und islamischen Welt geworden ist, welche Rolle es spielte und wie es sich zu einem modernen Nationalstaat entwickelte. Dabei möchte die Autorin in ihrem Buch nicht nur die großen Ereignisse und wichtigen Personen herausstellen, sondern auch soziale und politische Zusammenhänge nachvollziehen. Die große Zeitspanne bedeutet eine Konzentration auf das Wesentliche, so dass sie auf die Erörterung von Forschungs- und Quellenfragen verzichtet, d.h. raumsparend auf einen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat. Dem Leser bleibt es vorbehalten, im Anhang geeignete weiterführende Literatur zu finden.
Nach ihrer Einleitung „Das Land am Nil“ gliedert Johanna Pink das umfangreiche Thema in fünf große Teile. Wobei uns der erste unter dem Titel „Von der Kornkammer Roms zum Kalifat“ von Ägypten als Provinz des Römischen Reiches (30 v.Chr. – 639 n.Chr.) über die muslimisch-arabischen Eroberer, Arabisierung und Islamisierung bis zum Kalifat der Fatimiden (969 – 1171) führt. Ein kleines Kapitel ist der Landwirtschaft gewidmet. Diese war über weite Strecken in der ägyptischen Geschichte der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Eine gute Ernte bedeutete nicht nur das Wohlergehen des Landes, davon hingen auch die wichtigen Getreideexporte in das Ausland, bis nach Konstantinopel und Rom, ab.
Im zweiten Teil, „Die Sultane Ägyptens“, erhalten wir einen Einblick in die Geschichte der Ayyubiden (1171 – 1250), die Gründung von Stiftungen, Madrasen und des Sufi-Ordens, das Sultanat der Mamluken (1250 – 1517) und die vielschichtige Sklaverei.
Der dritte Teil behandelt „Osmanische Eroberung und ägyptische Autonomie“. Nach der endgültigen Niederlage der Mamluken gegen die Osmanen 1517 war Ägypten fast 300 Jahre osmanische Provinz (1517-1798). Sie war die größte Provinz des Reiches und wirtschaftlich von großer Bedeutung. Ein eigenes Kapitel widmet die Autorin der Situation von Juden und Christen. Beide Glaubensgemeinschaften besaßen jeweils ein heiliges Buch und mussten deshalb nicht konvertieren. Sie durften als ‚Schutzbefohlene’ in einem muslimisch regierten Gemeinwesen nach ihrer Religion leben. Genaue Zahlen über den Bevölkerungsanteil gab es nicht, denn erst im 19. Jahrhundert fanden Volkszählungen statt.
Ende Juni 1798 landete Napoleon in Alexandria, damit ging eine Entmachtung der Mamluken einher sowie ein radikaler Umbau des ägyptischen Staates. Letzteres ist vor allem dem Albaner Muhammad Ali zu verdanken, der sich nicht nur als ‚Pascha’, sondern auch als ‚Khedive’, einem der höchsten Titel des Osmanischen Reiches, titulieren ließ. - Das Reich der Khediven ging schließlich mit der britischen Invasion 1882 unter.
Der vierte Teil des Buches steht unter dem „Zeichen britischer Hegemonie“, chronologisch unterteilt in „Die Briten und ihre zivilisierende Mission (1882-1918)“ und „Der Weg in die Unabhängigkeit (1919-1952)“. Wichtige Erläuterungen gibt Johanna Pink zum Status der Frauen und Männer sowie zur Muslimbruderschaft.
Im fünften Teil „Autoritäre Herrschaft und Opposition“ finden wir die Ära Nasser (1952-1970) sowie „Sadat, Mubarak und die Wurzeln des Zorns“, eingebettet in die politischen Gegebenheiten in Ägypten, Israel und Palästina. Die Ausführungen zum Arabischen Frühling und den ‚ägyptischen Herbst’ werden mit Ausführungen zur Schlüsselrolle des Militärs vervollständigt.
Den Epilog zur Idee einer ägyptischen Nation beschließt die Autorin mit dem kritischen Gedicht des oberägyptischen Dichters al-Gakh, der an den Aufständen von 2011 beteiligt war: „…Ein hässliches Gefühl, wenn dir klar wird, dein Land zählt nicht viel, deine Stimme nicht viel, deine Meinung nicht viel…“.
Im Anhang befinden sich ein Glossar, eine ausführliche Zeittafel, Literaturhinweise sowie Personen- und Sachregister. Johanna Pinks Ausführungen sind für die Zeitgeschichte höchst aktuell. Die politische Entwicklung wird bis zum Mai 2014 verfolgt, als Sisi die Wahl ins Präsidentenamt gewann. Auch dieses Buch aus dem Verlag C.H.Beck hilft dem Leser, die politische, wirtschaftliche und soziale Situation eines arabisch-muslimischen Landes - nicht nur in der Gegenwart - besser zu verstehen.
Helga Walter-Joswig
Taschenbuch, 304 Seiten mit 24 Abbildungen und 6 Karten in s-w
Verlag C.H.Beck, München 2014
€ 16,95 / E-Book € 13,99
ISBN 978 3 406 66713 8
Der Autor ist Professor für Islamwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Einer größeren Leserschaft wurde er bekannt durch seine kommentierte Ausgabe der Geistlichen Anleitung der Attentäter vom 11. September 2001; sie wurde zwischenzeitlich in mehrere Sprachen übersetzt (mit Hans G. Kippenberg, 2004).
Der Islam liefert heute fast täglich Schlagzeilen zum Islam, wobei auch der Begriff ‚Islamismus’ zusehends geläufig wird. Tilman Seidensticker legt nun mit gut einhundert Seiten ein kleines Werk vor, das uns einen verständlichen Einblick in dieses Phänomen gibt. Wobei er sich, unabhängig von den Literaturhinweisen im Anhang, gelegentlich auf umfassende Werke zur Thematik bezieht, die im gleichen Verlag erschienen sind.
Während die Religion des Islam seit vierzehn Jahrhunderten besteht, ist der sogenannte ‚Islamismus’ erst in den 1920er Jahren entstanden. Ein größeres Interesse erweckte Letzterer seit der Islamischen Revolution in Iran um 1979 und der Ermordung des ägyptischen Staatspräsidenten Sadat im Oktober 1981. In dieser Veröffentlichung möchte der Autor nicht nur Schlagworte definieren, sondern den historischen Hintergrund, sprich geschichtliche Ereignisse, darlegen.
Seine Ausführungen zum weltumspannenden ‚Islamismus’ hat der Autor im Wesentlichen in der arabischen Welt angesiedelt, sie liegt uns geografisch am nächsten und spielte bei Entstehung und Entwicklung dieses Phänomens eine elementare Rolle.
„Was ist Islamismus?“ fragt Tilman Seidensticker mit dem ersten Abschnitt und erklärt, dass er für dieses Buch folgende Definition zugrunde gelegt hat:
„Beim Islamismus handelt es sich um Bestrebungen zur Umgestaltung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von Werten und Normen, die als islamisch angesehen werden.“
Er untersucht in der Folge die Herkunft, verschiedene Ausprägungen und Definitionen dieses Begriffes, bevor er im zweiten Abschnitt den geschichtlichen Hintergrund aufrollt: Von der rasanten Ausdehnung des islamischen Herrschaftsbereichs in der Frühzeit des Islams, seine spätere Schrumpfung bis hin zur gegenwärtigen Situation. Diese wird nicht nur von Muslimen als Debakel empfunden und gilt als Nährboden für den Islamismus.
Im zweiten Kapitel dieses Abschnitts untersucht der Autor die Entstehung der verschiedenen Strömungen innerhalb des Islamismus, den Wahhabismus und Salafismus. Zu den Vertretern der Letzteren gehören rund 4000 Anhänger in Deutschland, wie die ‚Kofferbomber’ in Nordrhein-Westfalen (2006) und die im September 2007 verhafteten Mitglieder der ‚Sauerlandzelle’. Das dritte beleuchtet den kolonialen Kontext des frühen Islamismus mit den Beispielen „Das Osmanische Reich“, „Ägypten 1798 bis 1922“ sowie Dekolonisation und Unabhängigkeit.
Im dritten Abschnitt stellt der Autor prägende Exponenten des Islamismus vor. Darunter sind auch bei uns bekannte Namen, wie Hasan al-Banna aus Ägypten, Gründer der Muslimbruderschaft (1928), oder Khomeini, Gründer der Islamischen Republik Iran (1979).
Der vierte Hauptteil beschreibt Organisationen und Parteien: Die Muslimbrüder in Ägypten, Syrien und Jordanien; Islamistische Parteien in der Regierungsverantwortung: Die ägyptische ‚Freedom and Justice Party’ (FJP), Salafistische Parteien im ägyptischen Parlament, die tunesische Ennahda, die marokkanische ‚Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung’ (PJD), die türkische ‚Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung’ (AKP) und die Hamas im Gazastreifen. Der 1988 im afghanischen Freiheitskampf entstandenen Al-Qaida und der libanesischen Hisbollah („Partei Gottes“), während des libanesischen Bürgerkriegs (1975 bis 1990) entstanden, widmet Tilman Seidensticker zwei eigene Kapitel.
Im letzten Abschnitt des Werks stellt der Autor den Gebrauch von Gewalt auf den Prüfstand - das Märtyrertum mit Selbstmordattentaten als Mittel des Jihad und dessen Rechtfertigung. Dabei hat die Begründung von Gewalttaten mit islamischer Tradition oftmals nur eine Alibifunktion. Denn auch sehr profane Beweggründe sind denkbar, wie Ansprüche auf Macht, Teilhabe an Ressourcen und persönliche Anerkennung.
Im Nachwort bündelt der Autor seine Ausführungen zu Entwicklungslinien und Merkmalen des Islamismus, wobei er nochmals auf eine brennende Hinterlassenschaft des Kolonialismus eingeht, die Palästina-Frage:
„Solange dieser Konflikt nicht in einer für die arabische Seite halbwegs zufriedenstellenden Weise beigelegt ist, wird er den Islamismus weiter speisen …“
Literaturhinweise, Glossar und Register beschließen das außerordentliche Buch. Es ist interessant, spannend geschrieben – ein Muss für jeden, der sich mit der Zeitgeschichte befasst.
Helga Walter-Joswig
Taschenbuch, 128 Seiten,
Verlag C.H.Beck Wissen
München, 2014
€ 8,95 / eBook € 7,99
ISBN 978 3 406 66069 6
1350 – 1750
Weltreiche und Weltmeere
Das vorliegende Buch gehört zu einem sechsbändigen Werk zur Weltgeschichte, das von einem Team von Historikerinnen und Historikern vorwiegend aus den USA und Deutschland erarbeitet wird und das gleichzeitig bei C.H.Beck und Harvard University Press erscheint. Herausgeber dieses Bandes ist Wolfgang Reinhard, Professor em. für Neuere Geschichte an der Universität Freiburg. - Die Herausgeber des Gesamtwerks sind Akira Iriye, Professor em. der Harvard Universität und Jürgen Osterhammel, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz.
Ziel ist dabei eine Geschichtsschreibung, die sich von bisherigen Traditionen - „Weltgeschichte ist lange Zeit als eine Geschichte des Aufstiegs und Niedergangs einer kleinen Zahl von ‚Hochkulturen’ geschrieben worden…“ - verabschiedet, sich neuer Ansatzpunkte bedient.
Im Klappentext bringt der Verlag den umfangreichen Inhalt dieses Bandes auf den Punkt:
„In den Jahrhunderten zwischen 1350 und 1750 wird die Geschichte der Welt endgültig zu einer zusammenhängenden Weltgeschichte. Auf allen Kontinenten expandieren neue Großreiche, während westeuropäische Seefahrer den Atlantik in ein Binnenmeer verwandeln und der Islam die Handelssysteme vom Mittelmeer bis nach Südostasien beherrscht.“
Der Stoff zu „Weltreiche und Weltmeere 1350 – 1750“ wird in fünf großen Kapiteln präsentiert. Wolfgang Reinhard schrieb die Einleitung “Weltreiche, Weltmeere und der Rest der Welt“. Das zweite Kapitel „Imperien und Grenzregionen in Kontinentaleurasien“ stammt von Peter C. Perdue, Professor an der Yale University, in dem er China, Russland, Zentraleurasien, Japan, Korea und Vietnam zu Vergleichen, Verbindungen und Konvergenzen heranzieht.
Das Kapitel über „Das Osmanische Reich und die islamische Welt“ wurde von Suraiya Faroqhi erarbeitet, die an der Middle East Technical University in Ankara und der Ludwig-Maximilians-Universität in München gelehrt hatte. Sie strukturierte den Stoff in zwei große Kapitel. Im ersten, „Das Osmanische Reich“, untersucht sie das Problem der Periodisierung und legt Gedanken zur Geschichtsschreibung nieder. Beschreibungen der natürlichen Gegebenheiten und der Grenzgebiete des Reiches aus der Perspektive der osmanischen Verwaltung werden mit zwei Karten veranschaulicht.
Es folgen die Expansion des Osmanischen Reiches und die Islamisierung der eroberten Territorien mit Ausführungen zum Status der Untertanen und Amtsträger und deren Rekrutierungen sowie die Rolle des Sultans. Weitere interessante Themen führen über Architektur, fromme Stiftungen, Rechtskultur, Familie in Staat und Gesellschaft, Migrationen zum Handel im 16. und 17. Jahrhundert etc. – Konflikte blieben im Riesenreich nicht aus, u. a. um die Krimtataren, die zwar abhängig, aber nie völlig kontrollierbar waren sowie die Kriege mit den Habsburgern.
Im nächsten Kapitel „Der Iran“ werden dessen Herrschaftssysteme dargelegt, territoriale Konflikte mit den Osmanen sowie das vielfältige Wirtschaftsleben. Dazu gehören die handwerklichen Künste, wie das Teppichweben, die Herstellung von Fayencen, Seidenmanufaktur und Buchkunst. Auch die iranische Dichtung der Zeit wurde weltweit berühmt.
Den folgenden Abschnitt, „Südasien und der Indische Ozean“, bearbeitete Stephan Conermann, Professor für Islamwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. Der Indische Ozean vom 14. bis 18. Jahrhundert und seine Anrainerstaaten stehen im Fokus. - Die Autoren Reinhard Wendt und Jürgen G. Nagel, beide aus dem Arbeitsbereich Neuere Europäische und Außereuropäische Geschichte an der Fern Universität Hagen, bieten den umfangreichsten Abschnitt, „Südostasien und Ozeanien“. - „Europa und die atlantische Welt“ heißt der letzte Abschnitt. Wolfgang Reinhard unterteilte ihn nach einer Einleitung in das atlantische Afrika, das lateinische Europa und die neuen atlantischen Welten…
Der 175 Seiten starke Anhang enthält u. a. Anmerkungen, Bibliografie, Vorstellung der Autoren, Personen-, Orts- und Sachregister. Der interessante Inhalt des repräsentativen Bandes ist verständlich geschrieben und dank der Bebilderung sowie der zahlreichen Karten sehr einprägsam. C.H.Beck beweist auch hier Vielfalt und Qualität seines Verlagsprogramms.
Der Vollständigkeit halber nennen wir noch die bisher erschienenen und in Vorbereitung befindlichen Bände zur „Geschichte der Welt“:
Frühe Zivilisationen – Die Welt vor 600;
Agrarische und nomadische Herausforderungen 600 – 1350.
(der hier vorgestellte dritte Band)
Wege zur modernen Welt 1750 – 1870;
Weltmärkte und Weltkriege 1870 – 1945;
Die globalisierte Welt 1945 bis heute.
Helga Walter-Joswig
Leinen geb., 1008 Seiten mit zahlreichen s-w Abbildungen und Karten
€ 48,--
Verlag C.H.Beck, München 2014
ISBN 978 3 406 64103 9
Hartmut Bobzin ist Professor für Islamwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Von ihm wurden bereits bedeutende Werke, u. a. seine anerkannte Koran-Übersetzung aus dem Jahre 2010 veröffentlicht. Ebenfalls im Verlag C.H. Beck ist 2011 seine Abhandlung „Mohammed“ erschienen.
Das vorliegende Werk soll, so erklärt es der Autor in seinem Vorwort, Verständnis für ein Buch wecken,
„das wie kaum ein anderes den Gang der Geschichte bestimmt hat und noch bestimmt, ja, das für die weltumspannende Kultur des Islams von prägender Bedeutung geworden ist und nichts von seiner Dynamik verloren hat.“
In einem Taschenbuch müssen sich die Ausführungen allerdings auf das Wichtigste aus dem komplexen Thema ‚Koran’ beschränken; der Autor verweist deshalb auf die Liste der weiterführenden Literatur im Anhang.
Hartmut Bobzin strukturiert diesen Band überschaubar und eingängig in elf Kapitel mit einigen Unterkapiteln. Treffend nennt er das erste „Das missverstandene Buch: Der Koran im Abendland“ und zitiert Goethe aus seinem „West-östlichen Divan“ im Kapitel „Mahomet“, ebenso Martin Luther und andere westliche Gelehrte. Sich das heilige Buch der Muslime voll und ganz zu erschließen, fällt jedem schwer, der sich nicht mittels einschlägiger Literatur intensiv damit auseinandersetzt. Der Autor zitiert häufig Koranstellen, um die Erläuterungen so anschaulich wie möglich zu gestalten. Wie Sure 4:136, die für ein Glaubensbekenntnis besonders wichtig ist:
„ O ihr, die ihr glaubt!
Glaubt an Gott und seinen Gesandten
und an das Buch, das er auf ihn herabgesandt,
und an das Buch, das er zuvor herabgesandt.
Denn wer an Gott nicht glaubt und seine Engel,
seine Bücher, seine Gesandten und den Jüngsten Tag,
der ist schon sehr weit abgeirrt.“
Das zweite Kapitel erklärt einige Grundbegriffe – was bedeutet eigentlich „Koran“, wie heißen die Suren, wie werden sie gezählt und welche sind die bekanntesten? Es folgt „Mohammed und seine Sendung: Der Beginn des Korans“ und die „Hauptthemen der frühen koranischen Botschaft“, zur „Entwicklung der koranischen Verkündigung“ führend.
Im Kapitel 6 „Theologische Grundlehren“ finden sich u.a. Betrachtungen zum koranischen Monotheismus, die Engel und die Offenbarungsbücher. – Ein wichtiges Kapitel ist 7, genannt “Rechtleitung“ für die Menschen: Der Koran als Gesetzbuch“. Zwar haben nach koranischem Verständnis schon frühere Offenbarungsbücher wie die Tora und das Evangelium den Menschen eine „Rechtleitung“ – ein Begriff, der im Koran häufig vorkommt – geboten, aber diese wurde nicht angenommen… Und erst der Koran brachte die endgültige „Rechtleitung“.
Im letzten Teil seines Werks befasst sich Hartmut Bobzin mit der sprachlichen und literarischen Form des Koran, seine Sammlung, Redaktion und Textgeschichte sowie Korankommentaren und muslimischer Koranphilologie. Für deutsche Leser sind die Ausführungen zu Koranübersetzungen und dem Problem der „Übersetzbarkeit“ des Korans besonders interessant. Dieser ist bekanntlich auf arabisch verfasst und wurde von verschiedenen Gelehrten und Literaten ins Deutsche übertragen. Dabei war allen Übersetzern das Hauptanliegen gemein, so treffend wie möglich den Inhalt und die Botschaft des heiligen Buches der Muslime zu vermitteln, dabei aber nicht zu versuchen, dessen literarische Qualität zu erreichen.
Der Anhang mit einer Auflistung der in Mekka und Medina entstandenen Suren, der deutschen Koranübersetzungen sowie weiterführender Literatur schließt mit einem Personen- und Sachregister, ergänzt durch ein Verzeichnis der zitierten Koranstellen. – Der Band ist ein wichtiger Beitrag in der Reihe ‚C.H. Beck Wissen’ und wird auch in seiner achten Auflage verdiente Verbreitung finden.
Helga Walter-Joswig
Verlag C.H. Beck, München 2014 (8. Aufl.)
C.H. Beck Wissen, Bd. 2109
144 Seiten mit 3 Abbildungen und einem farbigen Titelbild
brosch., € 8,95
ISBN 978-3-406-66458-8
Wie seit Jahrzehnten bringt Verleger Alain Sèbe aus Frankreich, spezialisiert auf Nordafrika und die Sahara, alljährlich einen Wandkalender zum Thema „Wüsten“ heraus.
Der Kalender 2015 zeigt einschließlich des Titelbildes 13 Motive aus Algerien, Libyen und Ägypten. Die beeindruckenden, traumhaften Farbfotos sind wie immer von hervorragender Qualität. Der Kalender misst 30 x 30 bzw. 60 cm, die Erläuterungen sind auf englisch und französisch verfasst, der Preis beträgt € 16,50.
Der Verlag bietet daneben ein anspruchvolles Programm mit verschiedenen Büchern und Farbbildbänden sowie Ansichtskarten, Briefpapiere mit entsprechenden Motiven, Postern und Geschenkartikeln an. Das vollständige Angebot steht im Internet unter www.alainsebeimages.com
Der Kalender sowie Prospekte können bestellt werden bei: Alain Sèbe Images, 95 impasse de la Bergerie, B.P. 41, F-83550 Vidauban oder per E-Mail: asebe[at]alainsebeimages[.]com
Die Fotografen Alain und Bernie Sèbe erfüllen mit ihren Arbeiten die Sehnsucht vieler, die sich gerne an vergangene Reisen in diese faszinierenden Landschaften mit ihren gastfreundlichen Bewohnern erinnern oder von den großen Weiten der Wüsten zuhause inspirieren lassen möchten.
Helga Walter-Joswig
Am 10. März 1948 treffen sich David Ben-Gurion und elf führende Vertreter der jüdischen Einwanderer in Tel Aviv; sie beschließen die ethnische Säuberung Palästinas. Noch während des britischen Mandats beginnen die Angriffe, geführt von Moshe Dayan (später Verteidigungs- und Außenminister), Menachem Begin (später Ministerpräsident und Außenminister) und Yitzhak Rabin (später Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger). Elf Stadtviertel und 531 palästinensische Dörfer werden zwangsgeräumt, viele dem Erdboden gleichgemacht; 800.000 Menschen fliehen. Es kommt zu Vergewaltigungen, zu Plünderungen und zu Massakern – auch an Frauen und Kindern. Heute bedecken Wälder, Parks und Freizeiteinrichtungen die einstigen Dörfer.
Der israelische Historiker Ilan Pappe hat anhand von Augenzeugenberichten und neu zugänglichen Dokumenten aus israelischen Militärarchiven die Ereignisse von 1947 und 1948 akribisch nachgezeichnet; sie stehen zur offiziellen Geschichtsschreibung und dem Gründungsmythos Israels in eklatantem Widerspruch. Sich der historischen Wahrheit zu stellen, ist für Pappe eine moralische Entscheidung – ein erster Schritt, um die Spirale der Gewalt zu beenden und zur Versöhnung zwischen Israel und den Palästinensern beizutragen.
Haffmans & Tolkemitt GmbH
Neuauflage 17. September 2014
ISBN 978-3-942989-86-2, 19,95 €
Klaus Gallas (Hg.): „Orient im Umbruch – Der Arabische Frühling und seine Folgen“
von Barbara Schumacher
Wer sich noch einmal vergegenwärtigen möchte, wie der „Arabische Frühling“ entstand, dem sei die Lektüre dieses Buches empfohlen. Auch die oft in Vergessenheit geratenen früheren Revolten in den entsprechenden Ländern werden in ausführlicher Form ins Gedächtnis zurückgerufen. Bekannterweise lässt erst der Blick in die Geschichte Zusammenhänge erkennen. Namhafte Experten wie Ulrich Tilgner, Heiko Flottau und Muriel Asseburg (Inhaltsverzeichnis und Vorwort finden Sie hier) stellen ihre Analysen vor, die dazu beitragen, Licht in die inzwischen unüberschaubare Gesamtproblematik zu bringen. Fragen zu den möglichen Auswirkungen auf den Mittleren Osten, den Maghreb, Russland und die „westliche Welt“ und viele andere Fragen bleiben naturgemäß offen, dazu ist die Materie zu komplex. Immer wieder geht es um die Rolle Europas und vor allem die moralische Verantwortung Deutschlands. Auch das Thema der Trennung von Staat und Religion wird angesprochen (die es in der arabischen Welt nicht geben wird - persönliche Meinung).
Zu den lesenswertesten Beiträgen gehört das großartige Vorwort von Klaus Gallas und Udo Steinbach zum Thema „Ost und West, Islam und Christentum: Zusammenprall zweier Zivilisationen?“ Als Kernsätze seien zitiert: „Bei allen Unterschieden von Geschichte, Kultur und Religion stehen die europäischen und arabischen Länder auf gemeinsamem Grund. Jahrzehntelang hat „der Westen“ mit einer Mischung von Dünkel, Mitleid und Pseudoexptertentum auf „die Araber“, „die Muslime“ hinabgeschaut, die zur Demokratie gleichsam genetisch nicht fähig seinen. Die arabische Revolte, der syrische Aufstand haben eine neue Perspektive eröffnet: Wir sind alle den Werten der Humanität verpflichtet. Die Freiheit ist die Conditio sine qua non“.
Nach geäußerten Hoffnungen und Schilderungen eher düsterer Aussichten, wie z. B. in Ulrich Tilgners Beitrag „Irak – Alltag mit Krieg und Terror“, der auch aufschlussreiche Hintergrundinformationen zu Al Qaida und ISIS enthält, mag sich der Leser am Ende fragen, ob die Sicht westlicher Experten ein vollständiges Bild der Lage gibt, vor allem im Hinblick auf die Zukunft. Können westliche Fachleute Fragen beantworten, warum der abgrundtiefe Hass zwischen Schiiten und Sunniten besteht, warum Vetternwirtschaft, unvorstellbare Korruption und das Gebot der Sicherung von Stammespfründen dafür sorgen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in Armut und Unwissenheit versinkt und sich – des Lesens und Schreibens unkundig – bei Wahlen Muslimbrüdern anschließt und warum ……
Hat westliche Denkweise überhaupt eine Chance, die bestehenden Konflikte in Afghanistan, Iran, Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien, Palästina, Syrien, Irak, Türkei, Russland, um nur einige Länder zu nennen, zu verstehen? Als bei einem life Radiointerview bei NDR 1 Radio Niedersachsen am 7. August 2014 der im sicheren Studio in Hannover sitzende Moderator die Reporterin in Gaza fragte, ob die Palästinenser, angesichts des sie umgebenden Desasters, nun von der Hamas „die Nase voll“ hätten, antwortete die Reporterin: „Das Gegenteil ist der Fall. Alle Palästinenser, mit denen ich gesprochen habe, sind stolz auf die Hamas, sprechen von ihrem gesteigerten Hass gegen Israel und schwören Rache“.
Klaus Gallas (Hg.): Orient im Umbruch – Der Arabische Frühling und seine Folgen, 160 S., Br., 135x210 mm, ISBN 978-3-95462-308-2, Preis: 12,95 €
Rechtliche Rahmenbedingungen für Geschäftstätigkeiten in den Vereinigten Arabischen Emiraten
mit Vorwort von Klaus Ranner, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Dubai
Seit dem Erscheinen der 3. Auflage im Jahr 2008 sind nunmehr sechs Jahre vergangen. In dieser Zeit haben sich in den VAE in vielen wirtschaftsrechtlichen Bereichen gravierende Änderungen ergeben. Deutschland und die Schweiz haben ein neues Doppelbesteuerungsabkommen mit den VAE abgeschlossen und auch im handels- und gesellschaftsrechtlichen Bereich hat es wichtige Änderungen gegeben. Alle in den VAE seit 2008 bis heute erfolgten relevanten Neuerungen sind in die 4. Auflage eingearbeitet worden.
Der deutschsprachige VAE-Investitionsführer spricht vor allem Interessenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Obwohl der Ratgeber die für Investoren wichtigsten wirtschaftsrechtlichen Themen anspricht, ist dieser bewusst nicht in Juristendeutsch verfasst worden, sondern dem allgemeinen Sprachgebrauch angepasst und daher leicht verständlich.
Rechtsanwalt Jörg Seifert ist seit 1995 als Wirtschaftsanwalt im Nahen Osten tätig. Er leitete zunächst für drei Jahre die Europäische Abteilung der Kanzlei Dr. Hasan Al Mulla Lawyers & Legal Consultants in Riad, Saudi Arabien. Während seiner dortigen Tätigkeit wurde er durch das österreichische Außenministerium zum offiziellen Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft in Riad bestellt.
Ende 1998 verlegte RA Jörg Seifert seinen Wohnsitz nach Dubai, Vereinigte Arabische Emirate. Er ist nunmehr in der lokalen Kanzlei Al Sharif Advocates & Legal Consultants schwerpunktmäßig für die wirtschaftsrechtliche Beratung internationaler Mandanten zuständig und betreut diese im Team mit 16 weiteren Anwälten bei der Anbahnung und Umsetzung von Investitionsvorhaben in den VAE und den anderen Ländern des Golf-Kooperationsrates.
RA Seifert ist Mitglied der Rechtsanwaltskammer Oldenburg in Niedersachsen und bei allen Amts-, Land- und Oberlandesgerichten in Deutschland sowie bei den Gerichten des Dubai International Financial Center in den Vereinigten Arabischen Emiraten auftrittsberechtigt.
RA Seifert ist Ehrenmitglied der Association of Fellows and Legal Scholars of the Center for International Legal Studies in Salzburg und hat bislang über 30 verschiedene Abhandlungen zum Wirtschaftsrecht der VAE und anderer Länder des Golf-Kooperationsrates veröffentlicht.
Autor: Rechtsanwalt Jörg Seifert
Herausgeber/Verlag: Discover Middle East Publications, Dubai Deutsches Kultur- u. Wirtschaftsmagazin im Nahen Osten
4. aktualisierte u. erweiterte Auflage Mai 2014, 284 Seiten; 49,90 €
ISBN: 978-9948-22-122-7
Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge 1074-1171
Rezension von Dr. Helga Walter-Joswig
Der Autor, Professor em. für Islamwissenschaft an der Universität Tübingen, hat ein internationales Renommee, insbesondere für seine Forschungen zum schiitischen Islam. Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt. Bei C.H.Beck sind bisher erschienen: Das Reich des Mahdi (1991), Die Kalifen von Kairo (2003) sowie in der Reihe ‚C.H.Beck Wissen’ Der Islam (8. Aufl. 2011), Die Araber (3. Aufl. 2010) und Die Schiiten (2005). Die Bücher wurden an dieser Stelle vorgestellt.
Der vorliegende Band wurde in der Historischen Bibliothek der ‚Gerda Henkel Stiftung’ herausgebracht. Diese wurde von der Stiftung zusammen mit dem Verlag C.H.Beck gegründet, um herausragende geisteswissenschaftliche Forschungsleistungen einer breiten Leserschaft zu vermitteln. Das vorgegebene Ziel sollte auch dieses Werk erreichen.
Trefflich leitet der Klappentext in das Thema, die Zeitgeschichte des 11. und 12. Jahrhunderts im Vorderen Orient, ein: „Islamische Terroristen verbreiten Angst und Schrecken, Sunniten kämpfen gegen Schiiten, und der Westen macht seinen Einfluss in Palästina geltend.“ Klingt das nicht wie eine Parallele zur heutigen Situation?
Mit diesem Buch entrollt sich ein gewaltiges, facettenreiches Gemälde vor unseren Augen! Es ist die Zeit, als die schiitischen Kalifen aus dem Haus der Fatimiden die große Region zwischen Nordafrika und dem heutigen Pakistan beeinflussten, als die mörderische Sekte der ‚Assassinen’ entstand und ihre terroristischen Tätigkeiten ausübte. Es ist aber auch die große Zeit der christlichen Kreuzfahrer, die in mächtigen Heerscharen, angeführt von höchsten Würdenträgern, von Europa auszogen, die heiligen Lande zu erobern, das heißt von den Muslimen zu befreien.
Der umfangreiche Text des Werkes ist in fünf große Teile gegliedert. Die Ausführungen sind wiederum in einzelne Kapitel aufgeteilt. Die zahlreichen Abbildungen und insbesondere die Karten erleichtern es, sich das Geschehen vor Ort vorzustellen. Einige der Themen werden im Folgenden kurz angeschnitten.
In der Einleitung gibt Heinz Halm einen Überblick über den Inhalt seiner Ausführungen. Ein Zeitbild: Kairo mit dem Hof des Kalifen. Ägypten, eine Provinz des Kalifenreiches in Bagdad, wurde durch die Fatimiden zum Zentrum eines eigenen Imperiums und ist noch immer eine Metropole der islamischen Welt. Es war das schiitische Gegenkalifat zum sunnitischen Kalifat der Abbasiden. Diese Spaltung der Muslime – Sunniten und Schiiten - in der Frage um die Rechtmäßigkeit der Nachfolge des Propheten Mohammed hat bis heute größte und folgenschwere Auswirkungen. –
Ein weiteres Thema ist die große Völkerwanderung, die seit dem 11. Jahrhundert viele Stämme der nomadischen Turkvölker aus ihrer Heimat Zentralasien in die islamische Welt brachte. Türken waren jedoch schon seit dem 9. Jahrhundert als Militärsklaven, die sogenannten Mamluken, in den ägyptischen Armeen präsent. Aber auch Armenier stiegen in der Hierarchie auf: die ersten ‚Sultane’ Ägyptens, Badr und al-Afdal, waren Armenier. Auch sie begünstigten Einwanderungen ihrer Landsleute, was zu Phasen christlichen Einflusses in der Verwaltung führte. Es wurde ein Völkergemisch, wie es sich noch heute in vielen Gebieten darstellt. In Ägypten gehörten in der fatimidischen Zeit die Christen der koptischen (= aus dem arabischen Wort für ‚ägyptisch’!) Kirche an, mit dem Patriarchen von Alexandria als deren Oberhaupt.
Die jüdische Gemeinde hat in Ägypten eine ganz besondere Spur hinterlassen. Es ist die ‚Geniza’, das Depot der 1025 wiederaufgebauten Synagoge der Palästinenser im Stadtteil ‚Misr’. In einem Anbau fanden sich bei Renovierungsarbeiten im Jahre 1889 über zehntausend Handschriften, Dokumente, wie Briefe, Verträge etc. Ein Glücksfall für die Forschung: aus dem Rest des Konvoluts entstand ein sechsbändiges Werk über die Geschichte der Juden im mittelalterlichen Ägypten. - Es sei hier erwähnt, dass Heinz Halm in seiner vorliegenden Arbeit viele Originalquellen aus dem arabischen, persischen und lateinischen Sprachraum auswertete.
Ein weiteres Thema sind Betrachtungen zu Sunniten und Ismailiten und den Schismen, d. h. den Spaltungen, die in der Geschichte des ismailitischen Islams auftraten. Aus dem ersten Schisma entstand die Partei der Nizariten, die in ihrem Oberhaupt – Imam -, dem Aga Khan, fortlebt. Die zweite führte zur Entstehung der ‚Assassinen’. Der Autor kann darüber sogar anhand von Autobiografien berichten. Welche Bewandtnis hatte es mit der geheimnisumwitterten Burg Masyaf im Norden Syriens und ihrem Bewohner, einer halbmythischer Gestalt, genannt ‚Der Alte vom Berge’? Die Kreuzfahrer wussten nicht, dass das eigentliche Oberhaupt der Assassinen im iranischen Alamut residierte, der Westen erfuhr dies erst durch Marco Polo.
Der Schluss - ‚AUSBLICKE’ - zeichnet das weitere Geschehen nach dem Ende der Ketzerdynastie, den Fatimiden, auf. - Es beginnt mit Saladin und seiner Befreiung Jerusalems von den Tempelrittern. Der Fall der heiligen Stadt löste im christlichen Europa größte Bestürzung aus:
„Am 2. Oktober 1187 zog Saladin in die Stadt ein, die achtundachtzig Jahre zuvor, beim ersten Kreuzzug, in die Hand der Christen gefallen war. Die Greuelszenen, die sich damals abgespielt hatten, blieben diesmal aus. Das Kreuz wurde von der Kuppel des Felsendoms abgenommen, … Der lateinisch-katholische Klerus hatte die Stadt verlassen; die Grabeskirche wurde den orientalischen Christen zurückgegeben; christliche Pilgerfahrten wurden auch künftig geduldet.“
Die Kreuzritter ließen sich von ihrer Mission jedoch nicht abhalten, sie belagerten Akkon von 1189 an für zwei Jahre. Dort wurde von Kaufleuten aus Lübeck und Bremen ein Feldlazarett eingerichtet, sieben Jahre später wurde die Hospitalgemeinschaft als Ritterorden nach dem Vorbild der Templer bestätigt: der Deutsche Orden war entstanden. In einem der folgenden Kapitel ‚Kreuzfahrerstaaten’ umreißt Heinz Halm die weitere Geschichte des Ordens, der seit 1309 seinen Hauptsitz auf der Marienburg in Ostpreußen hatte. –
Selbst Kaiser Barbarossa war mit einem großen Heer am 11. Mai 1189 in Regensburg zu einem Kreuzzug ins Heilige Land aufgebrochen. Ein Jahr später, am 10. Juni 1190 war er bekanntlich beim Durchschwimmen des Flüsschens Saleph in Kilikien ertrunken. - Die Könige von Frankreich, Philipp II. August, und von England, Richard I. Löwenherz, begannen ihren Kreuzzug im Juli 1190 in Burgund, beide schlossen sich der Belagerung von Akkon an. Saladin war nicht in der Lage, die Stadt zu entsetzen, die eingenommen und neben Tyrus zum Hauptstützpunkt der Franken wurde. Richard Löwenherz konnte Saladin nördlich von Jaffa schließlich besiegen und einen umfassenden Vertrag aushandeln. Allerdings blieb Jerusalem für die Christen verloren, doch die Pilger erhielten weiterhin Zugang zu den heiligen Stätten in der Stadt.
Zurück nach Ägypten: Die Fatimiden hatten Kairo gegründet, die kleinteilige Gliederung Ägyptens aus der Pharaonenzeit in eine großzügige administrative Neuaufteilung in größere Provinzen ersetzt, die im Prinzip heute noch besteht. Die Kreuzfahrer versuchten weiter, sich des Nillandes zu bemächtigen. - Weitere Ausführungen zu den Kreuzfahrerstaaten, die Ismailiten etc. sowie die Nizariten (Assassinen) des Ostens folgen. Hier begegnen wir den Ismailiten und ihren Imamen in unserer Zeit. Die bekanntesten Zeitgenossen der Dynastie, Aga Khan III. und IV. zogen es zwar vor, ein mondänes Leben im Westen zu führen, fühlten sich trotzdem ihrer Religion verpflichtet; sie gründeten zahlreiche Stiftungen von internationalem Rang. –
Ein 80seitiger Anhang gibt notwendige Erläuterungen, wie eine Stammtafel der Fatimiden, die Aussprache, Umrechnung der Daten, Anmerkungen, Nachweise und Quellen sowie ein Literaturverzeichnis und Register.
Fazit: Ein faszinierendes Zeitbild! Ereignisse, Orte und Personen - in populären Geschichtsbüchern oftmals fantasievoll dargestellt -, werden in diesem Werk in ihrem Zusammenspiel wissenschaftlich erarbeitet und auf spannende Weise dem Leser nahegebracht. Dank dem Autor und Verleger für ein außerordentlich interessantes Buch!
431 S. Leinen, mit 22 s-w Abbildungen, 15 Karten und 3 Stammtafeln,
Verlag C.H.Beck, München 2014, € 34,95
ISBN 978 3 406 66163 1
Über die Palästina-Frage scheint schon alles gesagt. Das Buch von Petra Wild beweist das Gegenteil. Es orientiert sich an den neuesten Erkenntnissen der Kolonialismus- und Genozidforschung, die den Zionismus als eine Form des europäischen Siedlerkolonialismus ausweisen.
Nach einer Einführung in den Ursprung des palästinensisch-israelischen Konflikts und den exklusiv ethno-religiösen Charakter des Staates Israel wird in diesem Werk detailliert auf die israelische Politik gegenüber den Palästinensern innerhalb der Grenzen Israels und in den 1967 besetzten Gebieten eingegangen. Diese wird von israelischen, palästinensischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch von UN-Organisationen immer wieder als Apartheid angeprangert.
Da der zionistische Siedlerkolonialismus anders als der südafrikanische nicht auf die Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung als billige Arbeitskräfte, sondern auf deren möglichst vollständige Ersetzung durch die Siedlerbevölkerung zielt, ist die schleichende ethnische Säuberung neben der Apartheid das Hauptmerkmal der zionistischen Kolonialpolitik. Wie diese Politik in der Praxis aussieht, wird in einzelnen Kapiteln über die Ghettoisierungspolitik in der Westbank, die ethnische Säuberung des Jordantals, die Gewalt der kolonialen Siedler sowie die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung und die Zerstörung der historischen Stadt Jerusalem dargelegt.
Dass es dennoch einen Silberstreif am Horizont gibt, zeigt das Abschlusskapitel zur Debatte über die Ein-Staat-Lösung, wie sie unter Palästinensern, antizionistischen Israelis und Aktivisten der internationalen Solidaritätsbewegung geführt wird. Angestrebt wird die Errichtung eines demokratischen säkularen Staates auf dem Boden des historischen Palästinas, in dem muslimische, christliche und drusische Palästinenser sowie jüdische Israelis auf der Basis von gleichen Rechten zusammenleben. Der seinem Anspruch nach exklusiv jüdische Staat Israel soll durch einen multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen ersetzt werden. Die Ein-Staat-Lösung würde nicht nur den Palästinensern ihre von der UNO anerkannten Rechte auf Selbstbestimmung, Rückkehr und Entschädigung garantieren, sondern auch die jüdisch-israelische Bevölkerung von ihrem Status als Kolonialherren befreien.
ISBN 978-3-85371-355-6, br., 240 Seiten, 15,90 Euro, mit Landkarten
Die Autorin
Petra Wild, geboren 1963 in Aarbergen/Hessen, studierte arabische Sprache und Islamwissenschaften in Jerusalem, Leipzig, Damaskus und Berlin. Sie arbeitet als freiberufliche Publizistin vor allem zur Palästina-Frage und zur Arabischen Revolution.
Eine Rezension von Moshe Zuckermann finden Sie hier.
Im Juni 2013 ist das Buch "Kampf um Palästina - Für Freiheit und Selbstbestimmung" von Dr. Herbert Fritz im Eigenverlag erschienen.
Er kennt seit 50 Jahren perönlich den Nahen Osten. 1964/65 hatte er sich ein knappes Jahr in arabischen Staaten, vor allem im Libanon aufgehalten, wo er zum ersten Mal mit Kurden und Palästinensern in Kontakt gekommen war und Flüchtlingslager besuchte. Kurden und Palästinenser standen seither im Mittelpunkt seines Interesses. Weitere Reisen folgten.
2004 erschien sein Buch „Die kurdische Tragödie, ein Volk zwischen den Fronten“. Seit 2010 beschäftigte er sich intensiv mit dem Thema Israel/ Palästina. Mehrere Reisen, u.a. in den Gazastreifen und Gespräche mit einfachen Menschen, aber auch mit führenden Funktionären der Fatah, der Hamas und mit Mitgliedern der israelischen Friedensbewegung ermöglichten ihm eine faire Beurteilung des Problems.
Fritz, Herbert (2013): Kampf um Palästina - Für Freiheit und Selbstbestimmung. ISBN 978-3-200-03111-1, 18,- Euro
Falls Sie Interesse an dem Buch haben, können Sie sich gerne auch an Herrn Dr. Fritz persönlich wenden:
Dr. Herbert Fritz
Kuefsteingasse 21/12
A-1140 Wien
herbert.fritz2[at]gmx[.]at
Chef Ramzis Arabisches Kochbuch begeistert seit über einem Jahr in seiner deutsch-arabischen Ausgabe schon so viele Hobbyköche, dass der Georg Olms Verlag jetzt die 2. Auflage verkünden kann. Das Motto „Essen ist Glück“ bleibt unverändert und wer den Geheimnissen der traditionellen arabischen, vor allem der libanesischen Küche auf die Spur kommen möchte, liegt mit den Rezepten des berühmten Fernsehkochs genau richtig. Chef Ramzis Arabisches Kochbuch wurde im Oktober 2013 mit der Silbermedaille im Wettbewerb der Gastronomischen Akademie Deutschlands ausgezeichnet und im Jury-Urteil heißt es: „Ein Wegweiser für die libanesische Küche. Erfrischend geschrieben mit bestechenden Fotos.“
Chef Ramzis Rezept für das Lieblingsdessert im arabischen Raum, Umm Ali, steht auf der Website des Verlags kostenlos zum Download zur Verfügung: www.olms.de/artikel_22641.ahtml
Ramzi Choueiry: Chef Ramzis Arabisches Kochbuch
Deutsch-Arabische Ausgabe. 2. Auflage 2014. Georg Olms Verlag. ISBN 978-3-487-08517-3, € 29,80
Der israelische Regisseur und Theaterpädagoge Uri Shani beleuchtet in seinem Buch "Nemashim" die Höhen und Tiefen des gleichnamigen interkulturellen Theater- und Kommuneprojekts aus Israel. Julie Schwannecke hat das Buch gelesen.
"Nemashim" ist ein 2002 initiiertes hebräisch-arabisches Theater- und Kommuneprojekt aus Israel, das bis zu sechs jungen Arabern und Hebräern die Gelegenheit gibt, ein Jahr lang miteinander in einer Kommune zu leben und Theater zu machen. In den Workshops, auf der Bühne und innerhalb der Kommune lernen die Jugendlichen, sich mit den Vorurteilen und Stereotypen ihrer Gesellschaften auseinanderzusetzen und auf der Bühne zu thematisieren.
Die Idee zu dem ambitionierten Projekt entstand vor dem Hintergrund des sich verschärfenden israelisch-palästinensischen Konflikts und des zunehmenden Rassismus auf beiden Seiten. Mit Hilfe des Theaterspiels wollte Uri Shani, Gründer des Projekts und langjähriger Theaterregisseur sowie Theaterpädagoge, eine andere Lebensrealität aufzeigen: Sein Ziel war es, arabische und jüdische Jugendliche zusammenzubringen, da sie aufgrund der unterschiedlichen Bildungssysteme in Israel und Palästina in der Regel keine Möglichkeit haben, sich wirklich gegenseitig kennenzulernen und auszutauschen.
Außerdem wollte der Autor verschiedenen kulturellen Identitäten auf den Grund gehen, um zu erfahren, ob ein Dialog zwischen jungen Israelis und Palästinensern überhaupt möglich erscheint – und unter welchen Voraussetzungen eine interkulturelle Zusammenarbeit gelingen kann. In diesem Zusammenhang verwendet Uri Shani bewusst die Bezeichnung "Araber" und "Hebräer", und nicht etwa "Palästinenser" und "Juden", da er damit zum Ausdruck bringen möchte, dass dabei keine religiöse Identifikation der beiden Gruppen im Mittelpunkt steht.
Das Projekt stützt sich gleichzeitig auf die israelische Tradition, dass junge Leute nach ihrem Abitur etwas für ihre Gesellschaft tun, z.B. in Form von Gemeinde- oder Sozialarbeit. Der arabische Teil der israelischen Bevölkerung kennt diese Praxis nicht, im Vordergrund steht zumeist, dass die Jugendlichen so schnell wie möglich die Universitäten besuchten oder für die eigene Familie Geld verdienten. Aus diesem Grund sei es auch immer wieder schwierig gewesen, junge arabische Teilnehmer für "Nemashim" zu gewinnen, erklärt Shani.
Mit Theaterarbeit die Gesellschaft verändern
Buchcover "Nemashim: Ein arabisch-hebräisches Theaterprojekt" im AphorismA-Verlag Berlin
Frieden und Verständigung durch Eigeninitiative: Uri Shani glaubt, dass wirkliche Veränderungen und Konfliktlösungen nicht von israelischen und palästinensischen Staatsoberhäuptern erzielt werden können, sondern durch eine aktive Zivilgesellschaft.
Der Autor ist der Ansicht, dass es durchaus möglich ist, mit Hilfe des Theaters gesellschaftliche und politische Missstände zu enthüllen, gemeinsam zu diskutieren, und zusammen die Gesellschaft zu verändern. Theater hat daher in seinen Augen nicht nur eine kommunikative Funktion, sondern auch eine soziale und gesellschaftliche: das Kultivieren von Kommunikation. Schon allein dadurch könne sich das Bühnenspiel positiv auf Konfliktsituationen auswirken. Vor allem erfülle Theater die gesellschaftliche Aufgabe, das Publikum zum Denken und Austauschen zu animieren, und um Fragen zu stellen – und nicht um Antworten zu geben.
Seit mehr als zehn Jahren praktiziert er zusammen mit Jugendlichen das "Theater der Unterdrückten", eine vom brasilianischen Theaterautor Augusto Boal ins Leben gerufene Theaterform, die durch die spielerische, ästhetische und theatralische Begegnung von Menschen eine Lösung sozialer Probleme und Veränderungen auf politischer Ebene erwirken möchte. Dies wird dadurch erreicht, indem der Zuschauer in die Theaterhandlung eingebunden wird, so dass die Trennung zwischen Bühne und Publikum aufgehoben wird.
Das "Theater der Unterdrückten" will aus dem passiven einen aktiven Zuschauer machen, der seine eigene Meinung einbringt und den Fortgang des Theaterstücks mitbestimmt. Es will den Teilnehmer dazu animieren, die Unterdrückungsspielregeln der Gesellschaft sowie eigene Verhaltensweisen in Frage zu stellen, um sich aus vorgegebenen Rollen und Alltagszwängen zu befreien. Wenn ihm das im Theater gelinge, so sei er auch imstande, sich in alltäglichen Situationen entsprechend couragiert zu verhalten, meint Uri Shani.
Manchmal geht es in den Bühnenstücken um einen muslimischen Vater, der nicht möchte, dass seine Tochter ihren Freund, einen Christen heiratet, oder um ein jüdisches Paar, das ohne religiöse Zeremonie heiraten will. Oder aber es geht um die Vertreibung palästinensischer Familien aus ihren Häusern, die mit jungen israelischen Familien neu bezogen werden.
Neben alltäglichen Konfliktsituationen bringen die Jugendlichen bisher noch ungelöste und tabuisierte Fragen auf die Bühne, wie etwa: Wieso sprechen viele Juden auch nach 50 Jahren Koexistenz noch kein Arabisch?
Uri Shani glaubt, dass wirkliche gesellschaftliche und politische Veränderungen sowie Konfliktlösungen nicht von israelischen und palästinensischen Staatsoberhäuptern erzielt werden können, sondern dass es dazu einer aktiven Zivilgesellschaft bedarf.
Als er sein ehrgeiziges Projekt m Jahr 2002 startete nahmen ihn viele Bekannte nicht für voll. Damals war ihm klar, dass es für sein Vorhaben vielleicht noch etwas zu früh war. Heute aber seien die Menschen reifer, insbesondere sei die arabische Jugend nun eher daran interessiert, etwas Positives für ihre Gesellschaft zu leisten als noch vor 20 Jahren. Das sei ja besonders durch die Ereignisse des Arabischen Frühlings sehr deutlich geworden, so Shani.
Kulturelle Unterschiede unerheblich
Für eine funktionierende interkulturelle Theaterarbeit bedarf es für Shani neben einer guten Vorbereitung der Teilnehmer vor allem der Bereitschaft, an sich selbst und miteinander zu arbeiten. Besonders das Bühnenspiel setze voraus, dass man sich immer wieder selbst überprüfe, wie man auf bestimmte Situation reagiert.
Denn im Grunde genommen, meint Shani, seien die kulturellen Unterschiede völlig unerheblich, sowohl in der Theaterarbeit als auch im wirklichen Leben. Meist seien es die Reaktionen auf diese Unterschiede, die Probleme hervorriefen – also die Tatsache, dass man den Anderen aufgrund seiner Unterschiede bewusst oder auch unbewusst auf- oder abwerte. Dabei handle es sich um eine durch die Gesellschaft anerzogene Reaktion, die auch bei den Jugendlichen zu unterschwelligem Rassismus führe.
Amina Nolte, eine deutsche Teilnehmerin, äußert sich dazu in einem eigenen Kapitel: "Weniger waren es die Dinge, über die wir stritten, als tatsächlich die Art, wie wir dies taten, weil dies ja unglaublich von der Kultur geprägt ist, aus der wir kommen". Die Theaterarbeit und auch die vielen Gespräche halfen jedoch dabei, die kulturell und sprachlich bedingten Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Amina beschreibt den in ihrem Projektjahr gemachten Lernprozess folgendermaßen: "Man kann lernen ein Miteinander zu finden, ohne dass man die eigene Meinung aufgeben muss, sie aber dennoch einem Kompromiss annähern kann".
Kooperation zwischen Privilegierten und Unterprivilegierten
Shani befasst sich in seinem Buch nicht nur mit den positiven Seiten der interkulturellen Zusammenarbeit, sondern weist auch deutlich auf mögliche Gefahren hin. Wenn die Arbeit nicht richtig angegangen wird, könne dies auch die Positionen verhärten und die Unterdrückung vergrößern. Dies musste er in seinem eigenen Projekt miterleben, denn seit 2008 ist "Nemashim" auf Eisgelegt. Vor allem seien es Uneinigkeiten über grundsätzliche Fragen und die fehlende Zusammenarbeit zwischen den Partnern und Vorgesetzten, die zu den Konflikten und zum vorzeitigen Ende geführt hätten.
"Im Projekt ging es ja in erster Linie um die Zusammenarbeit zwischen Ungleichen, zwischen Privilegierten und Unterprivilegierten", erläutert Shani. Unterprivilegiert bedeute hier nicht etwa "minderwertig", sondern dass die Araber nicht dieselben Rechte wie die Hebräer genießen.
Wenn man die Zusammenarbeit zwischen Gleichen und Ungleichen anstrebe, könne man folglich nicht einfach so tun, als seien alle gleich. Man müsse die Unterprivilegierten, also in diesem Fall die Araber, in allen Bereichen und in jeder Form bevorzugen, damit wieder ein Gleichgewicht hergestellt würde und sie das Gefühl bekämen, dass sie dieselben Möglichkeiten haben.
Dies hätten seine Partner und Vorgesetzten nicht so gesehen, also habe dies unweigerlich zu einem Konflikt zwischen ihnen geführt, der sich auch nicht mehr beheben ließ. "Erst wenn wir bereit sind, unser ‚Unmenschsein‘ hinter uns zu lassen und uns gegenüber dem Anderen zu öffnen und ihm auf Augenhöhe begegnen, ist eine wirkliche Zusammenarbeit möglich, die zur gegenseitigen Bereicherung führt", meint Shani abschließend.
Julie Schwannecke
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Uri Shani: "Nemashim: Ein arabisch-hebräisches Theaterprojekt", mit einem Beitrag von Amina Nolte, AphorismA-Verlag, Berlin 2011, 164 Seiten
Im vergangenen Jahr konnte der Verlag C.H.Beck München sein 250. Firmenjubiläum feiern. Das war ein Grund, zum einen eine kurz gefasste, aber höchst interessante und reich bebilderte Verlagsgeschichte herauszugeben. Eine ausführliche Geschichte in zwei Bänden steht den interessierten Lesern ebenfalls zur Verfügung. (www.beck.de)
Es war der Deutsch-Algerischen Gesellschaft e.V. eine Freude und eine Ehre zugleich, aus dem umfangreichen Verlagsprogramm zahlreiche Werke zu den Interessensgebieten unserer Mitglieder vorstellen zu dürfen. Wir denken dabei, abgesehen von Arbeiten zum aktuellen Zeitgeschehen, besonders auch an die bibliophil gestaltete Reihe Neue Orientalische Bibliothek. Dem Verlag sei gedankt mit guten Wünschen für eine gedeihliche Zukunft!
Helga Walter-Joswig
Jan C. Jansen und Jürgen Osterhammel
Dekolonisation
Das Ende der Imperien
Verlag C.H.Beck, München 2013
Beck’sche Reihe Wissen
broschiert, 144 Seiten
€ 8,95, eBook € 7,99
ISBN 978 3 406 65464 0
Bücher über die Dekolonisation, auch Dekolonisierung oder Entkolonialisierung genannt, sind an Zahl und Umfang legendär. Die beiden Autoren legen heute ein Werk vor, das in kurzen Zügen nicht nur den eigentlichen Prozess dieses einschneidenden Vorgangs im 20. Jahrhundert beschreibt, sondern darüber hinaus die langfristigen Folgen für die ehemaligen Kolonien und Metropolen nachzeichnet.
Jan Christian Jansen ist Akademischer Mitarbeiter an der Universität Konstanz. Jürgen Osterhammel lehrt und forscht als Professor für Neuere Geschichte an der gleichen Universität. Für sein Buch „Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts“ (2010) wurde er mit dem „Leibniz-Preis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Bei C.H.Beck sind außerdem von ihm lieferbar: „Geschichte der Globalisierung“ (zusammen mit Niels P. Petersson, 2012) und „Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert“ (2013). Von beiden Autoren ist hier erschienen: „Kolonialismus, Geschichte, Formen, Folgen“ (2012).
Die Autoren strukturierten ihre Studie in 7 Hauptkapitel, wobei sie zunächst den Begriff „Dekolonisation als Moment und Prozess“ erklären:
„Dekolonisation ist demnach
erstens die gleichzeitige Auflösung mehrerer interkontinentaler Imperien innerhalb eines kurzen Zeitraums (1945-75), verbunden mit
zweitens, der historisch einmaligen und vorausssichtlich unumkehrbaren Delegitimierung jeglicher Herrschaft, die als ein Untertanenverhältnis zu Fremden empfunden wird.“
Es bieten sich weitere Definitionen an und die Frage, wann die Dekolonisation eines Gebietes abgeschlossen ist. Es folgen Fakten und Zahlen zum Gesamtprozess, war dieser abgesehen von einzelnen friedlich verlaufenden Dekolonisationen doch eine alles in allem gewaltsame Angelegenheit. Beispiele sind die Teilung Indiens 1947, der Algerienkrieg (1954-1962) sowie der Indochinakrieg (1946-54). Als Folgekriege der Dekolonisation sind der Koreakrieg (1950-1953) und der Krieg zwischen den USA und dem vienamesischen Nationalkommunismus (1964-1973) zu bezeichnen, als Bürgerkriege die Geschehen in Kongo, Nigeria, Angola, Mosambik etc. Von zahlreichen Befreiungskriegen sind genaue Opferzahlen unbekannt oder sie sind erst in den letzten Jahren bekannt geworden, wie aus Kenia. Weitere Ausführungen befassen sich u.a. mit den Begriffen „Souveränität“ und „Normenwandel“.
Inzwischen gilt die Dekolonisation als abgeschlossen. Die UNO registrierte 1938 noch schätzungsweise 644 Millionen Menschen in abhängigen Gebieten. Heute werden nur noch 16 besiedelte „Territorien ohne Selbstregierung“ mit insgesamt ca. 2 Millionen Bewohnern gezählt. - Kapitel II gilt dem Nationalismus, Spätkolonialismus und den Auswirkungen der beiden Weltkriege.
In Kapitel III beschreiben die Autoren „Wege zur Souveränität“ in Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika sowie dem Südlichen Afrika. Die letzten Dekolonisationen spielten sich nicht nur in Südafrika und Rhodesien ab, sondern es drohte auch den spanischen, portugiesischen, belgischen und niederländischen Kolonien weltweit das Aus. Schlagzeilen machte in den 1990er Jahren das Ende der Apartheid und in unseren Tagen die Übergabe des nach britischem Recht regierten Stadtstaates Hongkong an China 1997. Allerdings wurde Hongkong nicht „in die Unabhängigkeit“ entlassen.
Kapitel IV „Wirtschaft“ behandelt die Themen Privatinteressen, Strategien und Übergänge sowie Entwicklung und Politik. - In die Weltpolitik führt Kapitel V mit den Konflikten Ost/West und Nord/Süd sowie den Kalten Kriegen von Korea bis Angola ein. Mit dem Fazit, dass die Dekolonisation keine neue internationale Ordnung hervorgebracht hat. Die Spannung Ost-West blieb bis 1990 die dominante Grundstruktur der Weltpolitik.
Im abschließenden Kapitel „Ideen und Programme“ sind Theorien verschiedener Denker Forschungsmittelpunkt, z.B. die des Tunesiers Albert Memmi und des französischen Schriftstellers Frantz Fanon, der in Algier als Psychoanalytiker wirkte und als wichtigster antikolonialer Theoretiker der Zeit gilt. - Das Buch beschließt Kapitel VI: „Rückwirkungen und Erinnerungen“. „Kolonialismus“, so formulieren es die Autoren, „ist heute bisweilen zu einer abstrakten Chiffre geworden für jegliche Form von ‚fremder’ Einmischung und von Konflikten zwischen einander kulturell Fremden – seien sie nun Bewohner verschiedener Kontinente oder auch nur eines Landes.“
Den üblichen Anmerkungen zu den Ausführungen folgen nützliche Literaturempfehlungen und das Sachregister. Die 140 Seiten geben in der Tat einen guten, lehrreichen Überblick zu diesem komplexen Thema.
Helga Walter-Joswig
Rupert Neudeck
Es gibt ein Leben nach Assad
Syrisches Tagebuch
Verlag C.H.Beck, München 2013
beck’sche reihe
192 Seiten mit 15 Abb. und 2 Karten
Klappenbroschur € 14,95, eBook € 11,99
ISBN 978 3 406 65444 2
Rupert Neudeck ist für sein großes humanitäres Engagement eine international hoch geachtete und vielfach geehrte Persönlichkeit. 1979 gründete er das „KOMITEE CAP ANAMUR Deutsche Notärzte e.V.“, das bis heute in vielen Krisenherden der Welt im Einsatz ist. 2003 rief er die neue Hilfsorganisation, das „Friedenskorps Grünhelme e.V.“ ins Leben, die auch im Norden Syriens zum Einsatz kam. - Das vorliegende Buch beschreibt aufrüttelnd seine Erlebnisse, Beobachtungen und Hoffnungen im Bürgerkriegsland, eingebunden in die politischen Verflechtungen. Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen sind im Verlag C.H.Beck die Werke Die Menschenretter von Cap Anamur (2.Aufl. 2003) und Die Kraft Afrikas (2010) erschienen.
Das Leid der Menschen - von aller Welt verlassen - in Syriens Bürgerkrieg hatte Rupert Neudeck bewogen, sich zu engagieren. Die Grünhelme schritten im Sommer 2012 über die Grenze Syriens. Sie gehörten zu den ersten Organisationen, die humanitäre Hilfe leisteten und begannen im September mit dem Bau von Krankenhäusern und Schulen in den Provinzen Aleppo und Idlib im Norden des Landes.
In jenem Jahr hatte Rupert Neudeck noch die Illusion, dass der Krieg bald zu Ende sein werde. Doch er täuschte sich: immer mehr ausländische religiöse Fanatiker infiltrierten die Reihen der Aufständischen, Chaos brach aus, die Spirale der Gewalt drehte sich immer schneller.
Die Entführung von drei Grünhelmen im Mai 2013 war für Rupert Neudeck das entscheidende Erlebnis, das Friedenskorps wurde abgezogen. Es waren für alle Beteiligten entsetzliche Wochen des ungewissen Wartens auf Klärung ihres Schicksals. Endlich wurden zwei der Verschleppten Anfang Juli freigelassen. - In der Folge zog sich Rupert Neudeck von seinem aktiven Dienst als Vorsitzender der Grünhelme zurück; in Würdigung seiner außergewöhnlichen Leistungen wurde er jedoch zum Ehrenpräsidenten ernannt.
Das aufrüttelnde Buch gliedert sich in ein Vorwort und die Abschnitte:
Eine Erkundungsreise ins Grenzgebiet (Juli 2012),
Im befreiten Syrien Assads (Oktober-Dezember 2012),
Warten auf den Sturz Assads (Oktober-Dezember 2012),
Ein Land in Anarchie (Januar-Februar 2013),
Spirale der Gewalt (Februar-Mai 2013),
Die Entführung (Mai-Juli 2013).
Im Schlusswort zeigt Rupert Neudeck seine große Sorge um den Verbleib des dritten Entführten, der sich bei Ende der Aufzeichnungen noch in Geiselhaft befand. Dieser konnte schließlich doch noch fliehen und Anfang September 2013 zu Fuß türkisches Hoheitsgebiet erreichen.
Wie Rupert Neudeck selbst gesteht, motiviert ihn auf besondere Weise das Gleichnis des barmherzigen Samariters aus dem Lukas-Evangelium. Er wandelt das Geschehen ab und versetzt es in unsere Zeit:
„Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho und fiel unter Räuber. Sie zogen ihn aus, schlugen ihn wund und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig zog ein UN-Beamter des Weges, sah ihn und ging vorüber: Nicht mein Mandat. Ebenso kam ein Blauhelm vorbei, erkannte, dass seine Richtlinien ihm nicht befahlen zu helfen und ging vorüber. Ein Samariter aber hatte, als er ihn erblickte, Mitleid mit ihm …“
Rupert Neudecks Syrisches Tagebuch ist ein bewegender, eindringlicher Appell an die Weltgemeinschaft zu Frieden und Menschlichkeit!
Helga Walter-Joswig
Der Verleger und Fotograf Alain Sèbe stellt zusammen mit seinem Sohn Berny wiederum sein neuestes Programm vor. Darunter befindet sich wie alljährlich der Kalender, in diesem Jahr über Wüsten aus aller Welt: Deserts of the World 2014. Er enthält 12 Farbfotos mit Erklärungen auf englisch und französisch. Die ausgewählten Impressionen entführen uns in die großen Weiten der Länder Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien, Argentinien und Namibia. Das wunderschöne Werk hat ein Bildformat von 30 x 30 cm, mit Kalendarium 30 x 60 cm und einen Preis von € 16,50
Bekannt wurde Alain Sèbe seit 1978 durch seine großformatigen, faszinierenden Farbbildbände zur Sahara. Des Weiteren enthält sein Verlagsprogramm zum Thema Sahara hochwertige Briefkarten, Karten, Poster sowie Schmuck- und Schlüsselanhänger. Siehe seine Homepage: www.alainsebeimages.com
Helga Walter-Joswig
Sigrid Löffler
Die neue Weltliteratur
und ihre großen Erzähler
Verlag C.H.Beck
München 2013
Gebunden, 244 Seiten, € 19,95
ISBN 978 3 406 65351 3
Vielfältig sind Abhandlungen zu den zeitgenössischen Literaturen der Welt. Literaturen unterliegen einem ständigen Wandel. Im vorliegenden Werk befasst sich die Autorin mit den Folgen der Entkolonialisierung im vergangenen Jahrhundert und der Globalisierung der letzten 30 Jahre in der Literatur von Ländern, die von diesen Prozessen geprägt wurden und werden. Es ist eine völlig neue, nicht-westliche Literatur entstanden, deren wichtigste Repräsentanten die Autorin vorstellt.
Sigrid Löffler, bestens bekannt aus den Medien, ist Literaturkritikerin, Publizistin und Kulturkorrespondentin. Sie war Redakteurin und Herausgeberin bei zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften und ständige Teilnehmerin der ZDF-Sendung „Das Literarische Quartett“, Feuilletonchefin der „ZEIT“ und Herausgeberin der Zeitschrift „Literaturen“. Ihr Engagement wurde mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt.
Die Einleitung führt in die Thematik ein und erklärt die für das Verständnis notwendigen Begriffe. Die neue Weltliteratur, auch Migrationsliteratur genannt, ist eine Literatur der Nicht-Muttersprachlichkeit. Die Autoren, Wanderer zwischen den Welten, wechseln zumeist von ihrer eigenen in die Sprache der einstigen Kolonialherren. Ins Französische, wenn sie aus den frankophonen Kolonien stammen oder ins Englische, wenn das britische Empire ihre Herkunftsregion ist. Von Migranten verschiedener anderer Länder wird das Englische als Weltsprache bevorzugt; es garantiert eine bestmögliche Verbreitung.
Die Autorin strukturiert ihr Buch in 5 große Kapitel: Einleitung, 2. Das Rätsel der Ankunft, 3. In den Ruinen des British Empire, 4. Arrival City, 5. Bürgerkriege und Zerfallsgeschichten.
Anhand von fünfzig ausgewählten Autorinnen und Autoren – hauptsächlich aus den ehemaligen britischen Kolonien -, ihren Lebensumständen und Werken bearbeitet Sigrid Löffler ihr Thema. Sie will aufzeigen, wie die konfliktreiche Gegenwart und eine schwierige postkoloniale Geschichte in der Literatur reflektiert werden. Darunter sind bekannte Namen, wie Salman Rushdie, J. M. Coetzee, V.S. Naipaul, Michael Ondaatje, Aleksander Hemon, Teju Cole und Gary Shteyngart. Aus dem arabischen Raum ist der Libanon vertreten mit Elias Khoury sowie Amin Maalouf.
„Khoury ist ein auf drei Kontinenten geschäftiger Beiruter Schriftsteller, Gastprofessor an mehreren amerikanischen Universitäten, politischer Aktivist und einer der einflussreichsten public intellectuals der arabischen Welt. In seinen Werken thematisiert er immer wieder neu die Konfliktlinien und Fraktionskämpfe im ethnisch, religiös und politisch zerrissenen Libanon“.
Maalouf ist arabischer Christ und lebt seit 1976 in Frankreich als bekennender Exilant. Er arbeitet als Journalist für arabische Medien und schreibt historische Romane. Auch sein Werk ist geprägt von migrantischer Erfahrung. Dementsprechend setzt er sich ausführlich mit dem Begriff „Identität“ auseinander: „Identität ist nichts, das ein für allemal feststeht; sie formt und transformiert sich über ein ganzes Leben hinweg“.
Das anspruchsvolle Werk spiegelt eine jahrelange Auseinandersetzung der Autorin mit dem komplexen Thema wider. Die Lektüre des Buches mit einer Fülle von Aussagen und Interpretationen zu einem Leben zwischen den Kulturen wird erleichtert durch Bibliografie und Register. Dem Leser eröffnet sich eine neue literarische Welt! Faszinierend!
Helga Walter-Joswig
UN MENSCHENRECHTSRAT
Die Menschenrechtslage
in Palästina und anderen
besetzten arabischen Gebieten
Mit Vorwort von Annette Groth
Taschenbuch,
Format 14x20,5 cm. 104 Seiten
8,00 €
1. Auflage, Januar 2014
ISBN 978 3 88975 222 2
Die Lage in den arabischen Gebieten wird nach dem arabischen Frühling immer undurchsichtiger.
Konflikte und Gewaltausbrüche sind dabei nicht selten zu beobachten. (Was der Mensch dem Menschen antut kann nicht immer verstanden, jedoch wenigstens analysiert werden).
Die in Mitleidenschaft gezogenen Menschenrechte, sollten dabei mehr beachtet werden, ebenso soll aufgezeigt werden durch welche Missetaten es zu Menschenrechtsverletzungen kam. Dafür sorgt der Bericht des UNO-Menschenrechtsrates, auf welchem dieses Werk basiert.
Eine unabhängige internationale Kommission untersuchte die Auswirkung israelischer Siedlungen auf die Menschenrechte des palästinensischen Volkes, im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet einschließlich Ostjerusalem. Es wird dargestellt mit welchen veränderten Lebensbedingungen die Menschen dort umgehen müssen, der Schwerpunkt liegt dabei auf der Verletzung der rudimentärsten Rechte.
Ob es um Gewalt, Einschüchterung oder Ungleichheit geht - das Werk zeigt einige der wichtigsten Verbrechen auf.
Das neu im Herder-Verlag erschienene Buch von Prof. Helga Baumgarten: "Kampf um Palästina - Was wollen Hamas und Fatah?"
Kurzbeschreibung:
Fundierte Informationen zu einem politischen Dauerbrennpunkt Hamas und Fatah - wer steckt dahinter, was sind die Ziele? Stimmt unser Bild von den säkularen, friedens- und verhandlungsbereiten Palästinensern der Fatah und den »radikalislamischen« Terroristen der Hamas? Kooperation oder Konfrontation - wie lautet die Option des Westens?
Detaillierte Augenzeugenberichte von der brutalen Realität der Besatzung
Ekkehart Drost hat ein aufrüttelndes Buch über den israelischen Siedlerkolonialismus geschrieben
Arn Strohmeyer
Offiziellen israelischen Verlautbarungen zufolge gibt es eigentlich gar keine Besatzung. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird nicht müde, diese Feststellung zu wiederholen, und die meisten Israelis nehmen ihm das auch ab. Auf vielen Landkarten ist das Westjordanland denn auch schon annektiert, Grenzen zu Israel sind nicht mehr eingezeichnet. Dieses Gebiet, das als „Judäa und Samaria“ bezeichnet wird, ist für die Zionisten das eigentliche historische jüdische Kernland – und dorthin zurückzukehren, kann eben nicht illegal sein. Dass da mehr als 2000 Jahre dazwischen liegen, dass dort seit vorgeschichtlicher Zeit auch Angehörige vieler anderer Völker gesiedelt haben und dass die Mehrheit der Juden wegen Missionierung und Konversion (siehe die Ausführungen des israelischen Historikers Shlomo Sand in seinem Buch „Die Erfindung des jüdischen Volkes“) keineswegs aus dem sogenannten „Heiligen Land“ stammt, was interessiert das machtbewusste Zionisten? Die Mythen und Legenden sind immer noch wirkmächtiger als die historische Wahrheit.
Selbst der Zionistenführer und erste Ministerpräsident Israels, David Ben Gurion, war sich des Unrechts, das die Zionisten den Palästinensern antaten, voll bewusst. Er schrieb: „Warum sollten die Araber mit uns Frieden schließen? Wäre ich selbst ein arabischer Führer, würde ich niemals mit Israel verhandeln. Das ist ganz natürlich: Wir haben deren Land geraubt. Sicher, Gott hat es uns versprochen, aber was geht die das an? Unser Gott ist nicht deren Gott. Wir stammen aus Israel, aber das ist 2000 Jahre her und was interessiert die das? Es gab Antisemitismus, die Nazis, Auschwitz, aber war das deren Schuld? Das einzige, was die sehen, ist: Wir kamen her und stahlen ihr Land. Warum sollten sie das akzeptieren?"
Ehrliche, aber äußerst zynische Worte. Der revisionistische Zionistenführer Wladimir Zeev Jabotinsky formulierte denselben Sachverhalt so: „Hat man je ein Volk gesehen, das sein eigenes Land hergibt? Desgleichen werden die arabischen Palästinenser auf ihre Souveranität nicht ohne Gewalt verzichten.“ Der sogenannte palästinensische „Terrorismus“ erscheint im Zusammenhang mit solchen Zitaten führender Zionisten in einem ganz anderen Licht, denn das Völkerrecht kennt für solche Eroberungs- und Besatzungssituationen durchaus ein Widerstandsrecht. Die Inbesitznahme Palästinas war von Anfang an das Ziel des zionistischen Siedlerkolonialismus. Im sogenannten Sechs-Tage-Krieg 1967 kam als neue Eroberung neben dem Gaza-Streifen und den Golanhöhen das Westjordanland unter israelische Herrschaft. Das brutale Militärregime dort, unter dem 2,4 Millionen Menschen seitdem leben und leiden müssen, nicht „Besatzung“ zu nennen, ist wohl der Gipfel sprachlich-ideologischer Verschleierung.
Der deutsche Friedensaktivist und Publizist Ekkehart Drost hat sich als Mitarbeiter des Programms EAPPI des Weltkirchenrates aufgemacht, sich selbst bei einem mehrmonatigen Aufenthalt im Westjordanland von den Realitäten der israelischen Besatzungspolitik zu überzeugen. Wie andere Autoren und Menschenrechtler machte er dort erschreckende Erfahrungen. Ob es nun die brutale willkürliche Gewalt der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern ist, die nächtlichen Razzien mit den Verhaftungen (auch von Kindern!), die Einkesselung und Abriegelung der Menschen durch Mauern und Checkpoints mit der totalen Beschränkung der Bewegungsfreiheit, die Häuserzerstörungen und der tägliche Landraub, um Platz für Judaisierungsprojekte und Siedlungen zu schaffen, die Gewalt der Siedler gegen die wehrlosen Menschen, die permanente Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, wobei Polizei und Armee tatenlos zuschauen oder sogar Hilfe leisten, der Augenzeuge Ekkehart Drost beschreibt alle diese Ungeheuerlichkeiten der Organe eines Staates, der zur sogenannten westlichen Wertegemeinschaft gehören will, mit großer Eindringlichkeit.
Er hat unzählige Palästinenser getroffen, die ihm berichten, vieles hat er mit eigenen Augen gesehen und detailliert protokolliert. Muss man das alles immer wieder aufschreiben? könnte man fragen. Ja, man muss es immer wieder sagen, schreiben und an die Öffentlichkeit bringen, weil die Verbrechen schon so lange andauern und kein Ende abzusehen ist. Und weil die Medien gerade in Deutschland sich aus historischer Schuld und aus Angst vor dem Vorwurf des Antisemitismus scheuen, die Realitäten der israelischen Besatzung im Westjordanland beim Namen zu nennen. Dabei verlangen gerade die Verbrechen der Nazis wie der Holocaust die gegenteilige Schlussfolgerung zu ziehen: alle Verletzungen der Menschenrechte aufzuklären und gegen sie anzugehen, wo immer sie geschehen – und sei es auch in Israel.
Ekkehart Drost gehört zu der kleinen Schar der Mutigen in Deutschland, die kein Blatt vor den Mund nehmen und immer wieder ihr Erschrecken, ja ihr Entsetzen über das ausdrücken, was die „Opfer des Holocaust“ einem anderen Volk antun. Die Bilanz seiner Erfahrungen im besetzten Palästina kleidet Drost in Fragen, auf die er auch keine Antworten geben kann:
• Wer denkt sich ein derartiges Unrechtssystem aus?
• Wie tief müssen Hass und Verachtung bei den Israelis sein, um Menschen (die Palästinenser) schlimmer als Tiere zu behandeln?
• Warum hört man in westlichen Ländern keinen Aufschrei des Protestes gegen einen Staat, mit dem man doch angeblich dieselben Werte teilt?
• Was wird aus jungen Palästinensern nach einer Tortur ohnegleichen? Für Monate und manchmal Jahre [durch Gefängnisaufenthalte] herausgerissen aus Familie, Schule und Studium? Können sie überhaupt noch Hoffnung auf ein selbst bestimmtes Leben haben oder sehnen sie nur die nächste, die dritte Intifada, herbei?
Der Blick in die Zukunft ist für die Palästinenser düster, es gibt keinen realistischen Hoffnungsschimmer. Gerade deshalb bewundert Ekkehart Drost ihren „Sumud“, ihre Standhaftigkeit, Beharrlichkeit, Duldsamkeit, Friedfertigkeit und Lebensfreude. In diesem Zusammenhang zitiert er im Kapitel seiner Begegnungen die in Deutschland lebende Israelin Judith Bernstein, die auch voller Bewunderung für den „Sumud“ ist: „Vielleicht ist es die Überzeugung, dass sie [die Palästinenser] nach den Kreuzrittern, den Osmanen und den Briten eines Tages auch die Israelis überleben werden. Ein trauriger Gedanke, der mittlerweile von vielen Israelis geteilt wird: ‚Uns wird es bald nicht mehr geben.‘ Liegt dies im Interesse Europas?“ Und die Israelin fragt: „Warum kann die deutsche Regierung nicht endlich den Schritt tun und auf die eklatante und ihr ja längst bekannte Verletzung der Menschenrechte durch Israel hinweisen? Warum verhält sich die deutsche Regierung so, wie sie es tut? Es kann doch nicht allein der Holocaust sein? Die deutsche Politik schadet Israel.“
Ekkehart Drost hat ein wichtiges, weil aufklärendes und aufrüttelndes Buch geschrieben, weil es die Realität im Westjordanland unverstellt vor Augen bringt und uns an unsere eigene Geschichte erinnert. Die Palästinenser sind das letzte Glied in der Kette der Nazi-Verbrechen an den europäischen Juden, die ihren Hass und ihre Traumatisierung nun an diesen Menschen auslassen, die für sie die „neuen Nazis“ sind. Was für eine ungeheure Verfälschung der historischen Wahrheit! Die Palästinenser haben keine andere „Sünde“ begangen und begehen sie noch immer, dass sie seit Urzeiten in dem Land wohnen, das ein völlig unzeitgemäßer und anachronistischer Siedlerkolonialismus nun seit etwa 130 Jahren für sich beansprucht.
Aber wer heute die Fakten klar sieht und die Dinge beim Namen nennt wie Ekkehart Drost und Humanität, Menschenrechte und Völkerrecht einfordert, um eine gerechte Lösung für das Nahost-Problem zu erreichen, muss damit rechnen, von den Vertretern und Freunden dieses Staates als „Antisemit“ denunziert zu werden. Damit ist ein Tiefpunkt in der politischen Kultur der sogenannten „westlichen Wertegemeinschaft“ erreicht. Auch Ekkehart Drost droht dieser Spießrutenlauf noch. Aber die Zahl der Menschen, die deutlich sehen, was in Israel/Palästina geschieht und dagegen protestieren, nimmt ständig zu. Und der permanente denunziatorische Antisemitismus-Vorwurf verliert auf Grund seiner inflationären Verwendung immer mehr an Überzeugungskraft, was äußerst schlecht ist für den Kampf gegen den wirklichen Antisemitismus, den es ja auch leider auch noch gibt. Aber diese Leute wollen das so und sehen gar nicht, wie sehr sie ihrer eigenen Sache und damit auch Israel Schaden zufügen.
Israels Politik gegenüber den Palästinensern kann man weder vom humanen, völkerrechtlichen und zivilisatorischen Standpunkt aus rechtfertigen und verteidigen. Sie widerspricht der jüdischen Ethik und den universalistischen Forderungen, die sich aus dem Menschheitsverbrechen Holocaust ergeben. Und weil das so ist, können die Lobbyisten Israels nur noch bei jeder Gelegenheit die Kritiker dieser Politik als „Antisemiten“ an den Pranger stellen. Andere Argumente haben sie nicht mehr zur Verfügung. Es ist ihre letzte Bastion.
Ekkehart Drost: Hoffen auf das Wunder. Meine Begegnungen mit Palästinenser, Israelis und Deutschen, Gabriele Schäfer Verlag Herne, 21 Euro
Frankfurter Buchmessen ohne den Emir von Sharjah, Sheikh Dr. Sultan bin Muhammad Al‑Qasimi sind – jedenfalls für seinen deutschen Verleger Georg W. Olms - kaum noch vorstellbar. Zum dritten Mal in Folge begab sich der Emir höchst persönlich nach Frankfurt – zur Signierung seines dritten, in deutscher Übersetzung von der Georg Olms Verlag AG herausgebrachten Bandes „Fest im Sattel“, das die Entwicklung der Vereinigten Arabischen Emirate in den Jahren 1979-1987 im Kontext wichtiger Weltereignisse schildert. Gelingt es dem Autor, die Spannung von „Meine frühen Lebensjahre“ (Band 1) und – wie der Titel schon vermuten lässt - „Stürmische Zeiten“ (Band 2), aufrecht zu erhalten? Ja – und in sehr informativer Weise darf der Leser teilhaben am schwierigen Weg der Einheit eines ursprünglich von Stämmen mit den verschiedensten Interessen geprägten Landes. Auch einen Blick auf die Internationale Bühne durch die Augen des Emirs darf der Leser erhaschen und nimmt teil an Treffen des Emirs mit Politikerlegenden wie Gerald Ford, die zugeben müssen, dass der Herrscher von Sharjah ihr „Denken ordentlich auf den Kopf gestellt“ hat. Auch bei Staatsbesuchen des Emirs in verschiedenen Ländern darf der Leser „teilnehmen“ und es ist erstaunlich, dass viele Dinge, die vor 30 Jahren geschahen, immer noch eine gewisse Aktualität besitzen.
Von jeher war Sharjah das kulturell am fortschrittlichsten entwickelte Emirat – dank des unermüdlichen Einsatzes seines Herrschers, der nach dem Motto „Kulturrevolution statt „Betonrevolution“ handelt. Wer die Entwicklung des Emirats verfolgt und z. B. die über 30 Museen in Sharjah besucht hat, wird dieses Engagement zu schätzen wissen und sich auch darüber freuen, im Buch aus erster Hand Informationen über die Etablierung einer Vielzahl kultureller Veranstaltungen in Sharjah zu bekommen, die sich im jährlichen Rhythmus wiederholen und ständig weiter entwickeln. Als Beispiel sei die Buchmesse von Sharjah genannt: sie entwickelte sich von einem bescheidenen Buchbasar zu einer – das sei vorweggenommen - Internationalen Messe mit einem aufsehenerregenden Kulturprogramm, das die Bevölkerung in Scharen auf die Messe treibt und internationalen Verlegern als professionelle Plattform dient. Höhepunkt der letzten Buchmesse war eine Ausstellung von Kunstwerken, kostbaren Büchern, Gemälden, Lithografien aus der privaten Ägypten-Sammlung des Emirs, präsentiert in einer beidseitig einsehbaren, etwa 50 m langen Vitrine im Zentrum der Eingangshalle. Die Sammlung war als großzügiges Geschenk des Emirs an Ägypten gedacht, nachdem am Anfang der dortigen Unruhen, wertvolle Kulturgüter verbrannt waren. - Der Leser erlebt die „Premieren“ des ersten Nationalen Kunstfestivals, des Festivals der Arabischen Dichtkunst, Theatertage und vieles mehr.
Der Emir ist von jeher ein starker Verfechter der engen Verbindung zwischen Religion und Politik gewesen. Dies bestimmt sein Handeln und das klingt in seinen Büchern an vielen Stellen immer wieder an. Geradezu als Sensation ist seine Arbeit zu werten, die mit dem Mythos der arabischen Piraterie in der Golfregion gründlich aufräumte. Das Thema interessierte ihn so sehr, dass er damit promovierte. Die Suche nach entsprechenden Beweisen gestaltete sich als spannendes Abenteuer, das ihn u.a. in die British Library, das staatliche Archiv von Bombay und das Staatsarchiv von Den Haag führte. Die überraschendsten Funde machte er in einer Bücherkiste eines Antiquariats in London. Die dort entdeckten Originaldokumente waren für seine Doktorarbeit ausschlaggebend. Das Komitee an der Universität Exeter verlieh ihm 1985 den Doktorgrad in Geschichte – mit Auszeichnung und akademischen Ehren!
In über 30 s/w-Fotos lebt die jüngste Geschichte wieder auf, wenn der Emir mit Sheikh Zayed, Indira Gandhi, Queen Elizabeth II, Sultan Qaboos, Prinz Albert von Belgien oder dem früheren Präsidenten des Sudan, Ahmed Al-Mirghani zu sehen ist. Aber auch Treffen der emiratischen Herrscher anlässlich feierlicher Eröffnungen, z. B. des Internationalen Flughafens von Sharjah sind Gegenstand der Fotografie. Auf einer ganzen Seite posiert der Autor im Promotionsgewand mit Doktorhut nach seiner Promotion an der Universität Exeter.
Sultan Bin Muhammed Al-Qasimi: Fest im Sattel – Die Jahre der Konsolidierung 1979-1987 (Coverfoto: Emir von Sharjah (links) und Sheikh Zayed) 238 S. - Georg Olms Verlag AG, Hildesheim 2013 - 29,80 € - ISBN 978-3-487-15012-3
Text und Foto: Barbara Schumacher
Kommentar von Dr. Ludwig Watzal unter 'Between the lines'
Als ich von Dr. Viktoria Waltz um ein Vorwort zu dem vorliegenden Buch angefragt worden bin, habe ich nach Lektüre des Manuskripts sofort zugesagt. Die Autorin ist eine ausgewiesene Expertin in Sachen Raumplanung und hat über Jahrzehnte an der Universität Dortmund dieses Fach unterrichtet. Neben ihren zahlreichen Veröffentlichungen zur Raumplanung und deren enormen gesellschaftspolitischen Implikationen in der Bundesrepublik Deutschland ist Viktoria Waltz immer wieder auch ihrem internationalistischen Anspruch gerecht geworden. Seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit galt ihr Interesse Palästina, weil sich dort eine geplante Landnahme durch Kolonisation scheinbar am deutlichsten manifestierte.
Für die Expertin in Sachen Raumplanung geschieht nichts planlos. Dies trifft auch für das zionistische Kolonisierungsprojekt in Palästina zu. Dass die „Besiedelung“ der Westbank nicht planlos erfolgt ist, hat kein geringerer als der ehemalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon selber bestätigt. Keine Kolonie sei aus einer Laune heraus entstanden, sondern deren Lage sei von Beginn an minutiös geplant gewesen.
Entstehungsgeschichte Israels hat nichts mit biblischen Legenden zu tun
Genau dies hat Waltz in ihrem Buch beschrieben, für das ich folgendes Vorwort im September 2011 verfasst habe:
„Die Entstehungsgeschichte Israels hat weder etwas mit den biblischen Legenden vom „auserwählten Volk“ noch mit den Versprechen Gottes an Abraham zu tun; dies sind religiöse Legenden, wissenschaftlicher Rationalität nicht zugänglich und bloße Glaubenspostulate. Auch wurde Israel nicht gegründet, weil der deutsche eliminatorische Antisemitismus unter der Nazi-Barbarei ein kolossales Menschheitsverbrechen am europäischen Judentum begangen hat. Viel wichtiger war jedoch die Diplomatie der zionistischen Bewegung, die sich auf dem Ersten Zionistischen Kongress 1897 in Basel eine politische Organisationsform gegeben hat.
Wer das Buch der ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Institut für Raumplanung an der Universität Dortmund, Viktoria Waltz, liest, erlebt eine völlig andere Entstehungsgeschichte des Staates Israel. Ihrer zentralen These folgend, ist das „Projekt Israel“ einem schlichten Planungsprozess geschuldet, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Er konzentriert sich auf das Land eines anderen Volkes, des palästinensischen, dessen Existenz im Begriff ist, völlig zerstört zu werden. Es geht um die Schaffung eines „reinen jüdischen Staates“, in dem kein Platz für die indigene Bevölkerung ist, weil sie als „fünfte Kolonne“ und als „existentielle Bedrohung“ wahrgenommen wird.
Israel und westliche Demokratie - gemeinsame Werte?
Das „Expropriationswerk“, wie es einst der Gründungsvater des Zionismus, Theodor Herzl, genannt hat, läuft nicht im Geheimen, sondern vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab. Jeder sieht es, aber niemand protestiert dagegen, obgleich dieser Vorgang nichts mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Völkerrecht zu tun hat. Der Westen, der immer wieder eine gemeinsame Wertebasis zwischen ihm und Israel betont, sollte einmal hinter die Kulissen dieser rhetorisch-politischen Luftblasen schauen. Sollten es tatsächlich die gemeinsamen Werte sein, welche die westlichen Demokratien mit der selbstdefinierten „einzigen Demokratie des Nahen Ostens“ verbindet, sollte dann der Westen nicht seine Werte überdenken oder gegebenenfalls revidieren?
Die israelisch-politische Elite meint, Israel sei ein „jüdischer und demokratischer“ Staat. Dass dies ein Widerspruch in sich ist, scheint jedem Zoon Politikon evident zu sein. Tatsächlich ist Israel eine „Ethnokratie“ (Felicia Langer), bestenfalls eine „jüdische Demokratie“ oder eine „Demokratie sui generis“. Für alle nicht-jüdischen Staatsbürger gelten nicht die gleichen Rechte, bzw. sie können sie nicht in Anspruch nehmen, weil sie nicht-Juden sind. Hinzu kommt, dass Israel seit 44 Jahren eine brutales Besatzungs- und Unterdrückungssystem über das palästinensische Volk aufrechterhält, das ihnen ihr Land unter fadenscheinigen Rechtskonstruktionen ganz „legal“ unter den Füßen wegzieht; diese „rechtlichen“ Machenschaften sprechen allen westlichen Werten Hohn. In den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten herrscht Besatzungsrecht, aber die in den besetzten Gebieten lebenden jüdischen Kolonisatoren unterliegen „selbstverständlich“ israelischem Recht, obgleich ihr Dasein wider das Völkerrecht ist.
Dies alles hat sich nicht einfach zufällig entwickelt, sondern scheint von Beginn der zionistischen Kolonisierung an geplant gewesen zu sein, wenn man das Buch von Viktoria Waltz gelesen hat. Die Autorin vertritt darin keine gängige Meinung. Sie wird dafür viel Widerspruch ernten. Auch ich könnte viele Einwände formulieren, und ich bin nicht mit allen Formulierungen und Schlussfolgerungen einverstanden. Aber es geht nicht um meine Meinung, sondern um das Recht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz generell. Deshalb habe ich mich bereit erklärt, dieses Vorwort zu schreiben, weil ich überzeugt bin, dass jede wohlbegründete wissenschaftliche Meinung legitim ist, obwohl wir in einer Zeit leben, in der Meinungen, die nicht der herrschenden politischen Auffassung entsprechen, der politischen Verleumdung anheimfallen. Bei diesen Verleumdungskampagnen spielt die „Israellobby“ (Mearsheimer/Walt) eine mehr als unrühmliche Rolle.
In dieser Komposition ist das Buch ein absolutes Novum und ein „eye-opener“ für jeden Nahost-Interessierten. Eine überaus spannende Lektüre."
Dass mehrere Verlage dieses Manuskript nicht veröffentlichen wollten, wie die Autorin gegenüber „Between the Lines“ bestätigt hat, spricht nicht gerade für die vielgepriesene „Zivilcourage“ in Deutschland. Diese oft eingeforderte politische Haltung scheint in Sachen Protest gegen die „Besatzungspolitik Israels in Palästina“ irgendwie nicht zu greifen. Bedenkt man das geistige Klima in der Bundesrepublik Deutschland, verwundert dies nicht. Wenigstens sollten sich die User, die das Recht auf „freies geistiges Eigentum“ einfordern, ohne irgendetwas dazu beizutragen, diese Lektüre antun, auch wenn sie ihren „Überzeugungen“ widerspricht. Dafür kostet das Buch auch nichts, ist aber trotzdem überaus wertvoll und bewusstseinserweiternd, vorausgesetzt, man verfügt überhaupt noch über ein funktionierendes politisches Bewusstsein.
Durch die Globalisierung des Internets ist den Kontrolleuren der „Bewusstseinsindustrie“ ihre Meinungsführerschaft abhanden gekommen. Sie tun aber wieder alles dafür, dieser Welt ihre politischen Vorstellungen in Form von Verlangsamung des Internets, Löschung von unliebsamen politischen Inhalten und dubiosen politischen Vorgaben aufzuerlegen. Wie schrieb schon vor einigen Jahren ein Journalist: „Das Internet macht doof“. Man hört diese bizarre Message, aber allein es fehlt der Glaube.
Dieser Kommentar vom 30. Mai 2013 kann hier als pdf eingesehen werden.
Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat
Über die Palästina-Frage scheint schon alles gesagt. Das Buch von Petra Wild beweist das Gegenteil. Es orientiert sich an den neuesten Erkenntnissen der Kolonialismus- und Genozidforschung, die den Zionismus als eine Form des europäischen Siedlerkolonialismus ausweisen.
Nach einer Einführung in den Ursprung des palästinensisch-israelischen Konflikts und den exklusiv ethno-religösen Charakter des Staates Israel wird in diesem Werk detailliert auf die israelische Politik gegenüber den Palästinensern innerhalb der Grenzen Israels und in den 1967 besetzten Gebieten eingegangen. Diese wird von israelischen, palästinensischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch von UN-Organisationen immer wieder als Apartheid angeprangert.
Da der zionistische Siedlerkolonialismus anders als der südafrikanische nicht auf die Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung als billige Arbeitskräfte, sondern auf deren möglichst vollständige Ersetzung durch die Siedlerbevölkerung zielt, ist die schleichende ethnische Säuberung neben der Apartheid das Hauptmerkmal der zionistischen Kolonialpolitik. Wie diese Politik in der Praxis aussieht, wird in einzelnen Kapiteln über die Ghettoisierungspolitik in der Westbank, die ethnische Säuberung des Jordantals, die Gewalt der kolonialen Siedler sowie die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung und die Zerstörung der historischen Stadt Jerusalem dargelegt.
Dass es dennoch einen Silberstreif am Horizont gibt, zeigt das Abschlusskapitel zur Debatte über die Ein-Staat-Lösung, wie sie unter Palästinensern, antizionistischen Israelis und Aktivisten der internationalen Solidaritätsbewegung geführt wird. Angestrebt wird die Errichtung eines demokratischen säkularen Staates auf dem Boden des historischen Palästinas, in dem muslimische, christliche und drusische Palästinenser sowie jüdische Israelis auf der Basis von gleichen Rechten zusammenleben. Der seinem Anspruch nach exklusiv jüdische Staat Israel soll durch einen multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen ersetzt werden. Die Ein-Staat-Lösung würde nicht nur den Palästinensern ihre von der UNO anerkannten Rechte auf Selbstbestimmung, Rückkehr und Entschädigung garantieren, sondern auch die jüdisch-israelische Bevölkerung von ihrem Status als Kolonialherren befreien.
ISBN 978-3-85371-355-6, br., 240 Seiten, 15,90 Euro, mit Landkarten
Die Autorin
Petra Wild, geboren 1963 in Aarbergen/Hessen, studierte arabische Sprache und Islamwissenschaften in Jerusalem, Leipzig, Damaskus und Berlin. Sie arbeitet als freiberufliche Publizistin vor allem zur Palästina-Frage und zur Arabischen Revolution.
Den Link zum Artikel finden Sie hier.
Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin
Unter Mitarbeit von Katharina Bobzin
Hartmut Bobzin gehört zu den international renommierten Gelehrten. Er ist Professor für Semitische Philologie und Islamwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Hauptarbeitsgebieten zählt der Koran mit seiner Druck- und Auslegungsgeschichte in Europa. Er ist durch seine Veröffentlichungen nicht nur in der Wissenschaft bekannt. In diesem Verlag erschienen seine Werke Der Koran. Eine Einführung (2007) und Mohammed (2011).
Das heilige Buch der Muslime gehört zu den weitestverbreiteten Büchern dieser Welt. Es wurde in viele Sprachen übersetzt. Auch in Deutschland sind bisher einige Übertragungen erschienen. Hartmut Bobzin hat in vorliegender Arbeit den „Kairiner Koran“ zugrunde gelegt, die Ergebnisse der neuesten islamwissenschaftlichen Forschung eingebracht und ein neues, in der Fachwelt schon anerkanntes Standardwerk geschaffen.
Der Koran ist für Muslime das Wort Gottes, das dem Propheten Mohammed in arabischer Sprache offenbart wurde. Die 114 verschieden langen Suren enthalten eine Vielfalt an Texten – predigend, mahnend, gelegentlich archaisch-dunkel, durchdrungen von Ge- und Verboten. Es sind Verse von großer Schönheit in Sprache und Stil. Hartmut Bobzin ist es gelungen, sie in ein wohlklingendes, verständliches Deutsch zu übertragen. Dennoch erschließt sich dem Laien, auch muslimischen und westlichen Theologen, die Bedeutung mancher Aussagen nur schwer. Die Auslegung der Suren hat schon seit Mohammeds Tod (632 n.Chr.) viele Gelehrte beschäftigt und es sind im muslimischen Kulturkreis zahlreiche berühmte Werke entstanden. Auch im christlichen Abendland fand im 18. Jahrhundert das Thema Eingang in die Islamwissenschaft. Herausragend ist Friedrich Rückert (1788-1866) zu nennen mit seiner unvollendet gebliebenen Übersetzung. Das komplexe Thema wird die Forschung in Orient und Okzident weiter beschäftigen.
Die kurzen, eindrucksvollen Suren zum Schluss sind für den Laien zum Einlesen in die Eigenart dieses heiligen Buches besonders geeignet. Sie sind ausgesprochen poetisch, siehe die Suren Die Morgendämmerung (89.), Die Sonne (91.), Die Nacht (92.), Der helle Morgen (93.).
Wir geben als Beispiel die ersten Verse aus der Sure Die Sonne, die noch vor Mohammeds Auszug nach Medina (622 n.Chr.) in Mekka entstanden ist. Auch ihr ist wie allen anderen – mit Ausnahme der 9. Sure – die sogenannte Basmala vorangestellt. Diese invocatio ist die arabische Kurzform für die Worte:
„Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers.
Bei der Sonne und ihrem Morgenlicht,
beim Mond, wenn er ihr folgt,
beim Tage, wenn er sie erstrahlen lässt,
bei der Nacht, wenn diese sie bedeckt,
beim Himmel und dem, der ihn erbaute,
bei der Erde und dem, der sie ausbreitete,
bei einer Seele und dem, der sie gestaltete“
…
Koran, Sure 91, Verse 1-7
Gekrönt werden die Suren mit der arabischen Überschrift ihres Namens in wunderschöner Kalligraphie. Einige von ihnen tragen Schmuckelemente mit dem Namen Allah am Ende. Im gleichen persischen Stil „Nastaliq“ wurden Vorder- und Rückseite des Buches, der Titel Der edle Koran, die erste Sure, genannt Fatiha, sowie die Schlussformel nach der letzten Sure geschrieben. Die mehr als 120 Schriftzüge stammen aus der Feder des aus Pakistan stammenden, freischaffenden Künstlers Shahid Alam. Im Werk des heute in Deutschland lebenden Kalligraphen, Malers und Bildhauers spielt die Kalligraphie eine wichtige Rolle.
Dem Verlag ist zu danken für die Ästhetik in der Gestaltung des Buches und die gute Lesbarkeit der Texte: Satzspiegel und Zeilenabstand sind großzügig bemessen, jede Sure beginnt auf neuer Seite, jeder Vers auf neuer Zeile. Bei längeren Versen werden Satzteile sinngebend untereinander gesetzt. Das Nachwort erläutert Struktur, Geschichte und die Schwierigkeit in der Übersetzung des Korans. Hinweise zur Transkription und Aussprache, das übersichtliche Stellenverzeichnis sowie eine namentliche Aufzählung aller Suren im Anhang runden diese Ausgabe ab.
Hartmut Bobzin, Katharina Bobzin und den Mitarbeitern sowie Förderern sind wir zu Dank verpflichtet!
Helga Walter-Joswig
640 Seiten mit 118 Kalligraphien
Verlag C. H. Beck, Beck’sche Reihe
München 2012
ISBN 978 3 406 64047 6
brosch. € 17,95, eBook € 13,99
„Essen ist Glück“ (Chef Ramzi)
Chef Ramzi, der berühmte Fernsehkoch, ist davon überzeugt, dass die Liebe zum Essen Menschen einander näher bringen kann. In diesem Buch weiht er Sie in die Geheimnisse der traditionellen arabischen, vor allem der libanesischen Küche ein, die von würzigen Kibbeh bis hin zu süßer Baklawa reicht. Tauchen Sie ein in die alte Kochkultur des Libanon, einem Land immerwährender Tagundnachtgleiche, in dem auf grünen, weichen Böden zahlreiche Obst- und Gemüsesorten gedeihen, Hühner, Schafe, Ziegen und ab und an sogar Schweine gezüchtet werden. Das Buch, hier erstmals in deutscher Übersetzung, wurde bisher über 150 000 mal verkauft und erhielt in der französischen Ausgabe 2003 den Preis „Bestes arabisches Kochbuch der Welt“.
Ramzi Choueiry
Chef Ramzis Arabisches Kochbuch
Mit einer Einführung von Bo Masser und Fotos von Bruno Ehrs. Deutsch-Arabische Ausgabe. 2012. 168 S. durchgehend vierfarbig illustriert. Gebunden.
ISBN 978-3-487-08517-3 € 29,80
Weitere Informationen zum Buch finden Sie hier.
Miko Peled stellte Anfang Oktober sein Buch "The General's Son. Journey of an Israeli in Palestine." vor.
Es ist eine faszinierende Darstellung seiner privaten Geschichte an Hand deren die Geschichte Israels zusammengefasst wird.
Den überaus sehenswerten Beitrag finden Sie hier.
29.10.2012 · Der Schriftsteller Jabbour Douaihy ist einer der bekanntesten Intellektuellen des Libanon. Im F.A.S.-Interview spricht er über die drohende Ausweitung des syrischen Bürgerkrieges auf sein Land.
Der Schriftsteller und Literaturprofessor Jabbour Douaihy zählt zu den bedeutendsten Intellektuellen des Libanon. Er will die Gewalt, die dieses Land immer wieder erschüttert, mit literarischen Mitteln ergründen. Jahrzehntelang war seine Familie in eine Blutfehde verwickelt, der in den fünfziger Jahren an einem einzigen Tag zwanzig Menschen zum Opfer fielen. Die Ereignisse von damals hat Douaihy in seinem Roman „Morgen des Zorns“ verarbeitet. Per Mail gibt er mir seine Handynummer, nennt eine Uhrzeit und sagt, er freue sich auf das Gespräch. Als er abnimmt, hört man vor allem lautes Rauschen.
Herr Douaihy, wo erreiche ich Sie gerade?
Ich sitze im Auto und bin gerade erst aus Beirut rausgefahren. Tut mir leid, es war Stau.
Wie ist die Lage dort? Nach der Trauerfeier für den ermordete Geheimdienstchef al Hassan wirkte es, als stünde der Libanon wieder vor einem Bürgerkrieg.
Die Situation ist angespannt. Es liegt etwas in der Luft, das nicht gut ist, jeder spürt das. Es sind mehr Soldaten in der Stadt als sonst, und manchmal hört man Schüsse. Aber die Leute im Libanon hatten oft genug Gelegenheit, um sich an solche Situationen zu gewöhnen. Wenn es ein Attentat gegeben hat, dann wissen wir, dass es auch ein nächstes geben wird. Wir leben immer zwischen zwei Attentaten. Das ist schließlich Beirut.
Die Leute haben keine Angst?
Vielleicht schon. Trotzdem geht das Leben seinen Gang. Die Läden und Straßen der Stadt sind voll, die Restaurants auch. In Beirut feiert man das Leben, denn man weiß ja nie, wie lange es noch dauert.
Man sagt, die syrische Regierung stecke hinter dem Attentat.
Vor allem die Leute, die den Kampf der syrischen Rebellen gegen Assad unterstützten, glauben daran. Der Libanon war unter syrischer Besatzung, erst 2005 haben wir uns befreit. Manche Leute sehen eine Ähnlichkeit zwischen dem Aufstand gegen Assad und der damaligen libanesischen Befreiungsbewegung. Die Hizbullah ist natürlich anderer Meinung.
Sie unterstützt ja auch Assad.
Ja, sie schickt Waffen und Kämpfer nach Syrien.
Und was glauben Sie?
Na ja, es wäre nicht das erste Attentat, das unser Nachbar hier verübt, und sicherlich wird es auch nicht das letzte sein. Syrien mischt sich seit dreißig Jahren in libanesische Angelegenheiten ein. Das Regime kennt dabei nur ein Mittel, und das sind Bombenattentate. Gegner werden nicht überzeugt, sondern eliminiert. Und da es im Libanon ziemlich viele Gegner der syrischen Regierung gibt, wird es auch noch weitere Attentate geben. Glauben Sie mir, Syrien hat hier echt viel zu tun, und ich fürchte, dass das Regime keine Scheu haben wird, dem nachzugehen. Dabei sollte man meinen, Assad habe gerade genügend andere Probleme.
Wie viele Morde gehen schon auf sein Konto?
Seit dem Mord an Rafik Hariri 2005, dessen Sicherheitschef der jetzt ermordete al Hassan ja war, sollen etwa zwanzig Persönlichkeiten von Handlangern des Regimes ermordet worden sein.
Kurz bevor es Hariri traf, hatte er sein Amt als Ministerpräsident niedergelegt, aus Protest gegen die Einflussnahme des Nachbarlandes.
Ja, und dann haben Sie ihn mit einer Bombe an seinem Fahrzeug hochgehen lassen. Ein ähnliches Vorgehen wie jetzt bei al Hassan.
Ich habe gehört, Sie sitzen oft in den Beiruter Kaffeehäusern. Haben Sie das in den vergangenen Tagen auch gemacht?
Aber ja, natürlich.
Worüber wird dort im Moment geredet?
Über Politik. Aber man muss aufpassen, mit wem. Bei Leuten, die anderer Meinung sind, sollte man es im Augenblick nicht übertreiben mit dem Diskutieren. Alle sind nervös. Aber meistens sitzt man ja sowieso nur mit Leuten der eigenen Seite rum.
Und worüber haben Sie mit denen diskutiert?
Wir überlegen immer, wie man diese Regierung politisch in die Knie zwingen könnte. Es gibt so viele Probleme hier. Das größte ist die Hizbullah und ihre Waffen. Sie ist wie ein Staat im Staate. Sie behauptet immer noch von sich, der Widerstand gegen die israelischen Besatzer zu sein. Doch die Israelis sind längst weg, nur die Hizbullah ist noch da. Wissen Sie, die anderen Gruppierungen haben nicht solche Waffen. Die Christen etwa haben gar keine, um ihren Standpunkt durchzusetzen. Sie können sich nur an die Regierung halten, was man niemandem raten will. Das alles ist ein bisschen kompliziert, aber im Großen und Ganzen ist es das.
Wohin fahren Sie eigentlich gerade?
Nach Tripoli, und von dort aus nach Zgharta, den Ort meiner Kindheit, über den ich auch in meinem Roman schreibe. Der Libanon ist winzig, von Beirut nach Tripoli sind es nur etwa achtzig Kilometer, und von Tripoli nach Zgharta nur ein paar Minuten.
Sie unterrichten französische Literatur an der Universität von Tripoli. In der Stadt soll derzeit ein Stellvertreterkrieg ausgetragen werden zwischen einem sunnitischen Viertel und einem Stadtteil, in dem vor allem Alawiten wohnen, also Mitgliedern der schiitischen Glaubensrichtung, der auch Assad und ein Großteil seines Regimes angehören. Es soll Straßenbarrieren geben, auf Dächern Scharfschützen. Mehrere Menschen sind getötet worden. Sagen Sie jetzt nicht, dass trotzdem Vorlesungen stattfinden.
Der Campus ist in der Nähe dieser Viertel. Wenn die Schießereien zu heftig werden, fällt die Vorlesung natürlich aus. Aber am Montag werden wir wieder ganz normal weitermachen. In den vergangenen Tagen hat sich die Lage beruhigt.
Geht es um Religion?
Nein, damit hat das nichts zu tun. Religiöse Interessen kommen vielleicht hinzu, aber sie sind nicht der Auslöser. Wie so oft im Libanon ist auch dieser Konflikt ein sehr alter. Die beiden Stadtteile streiten sich eigentlich schon seit dreißig Jahren. Und immer, wenn es irgendwelche Vorfälle gibt, wie jetzt die Rebellion in Syrien, dann heizt sich das wieder auf. Es geht hier um Familienclans. Was hier betrieben wird, ist politischer Tribalismus. Im Libanon geht es immer um Gruppensolidarität.
In Ihrem Roman mündet sie in eine Blutfehde. Die Gewalt nimmt solche Ausmaße an, dass das Militär einschreitet.
In gewisser Weise sind die Ereignisse im Roman ein Miniaturbild dessen, was jetzt in Tripoli passiert. Die dahinterstehende Logik ist die gleiche. In meinem Roman sind die Akteure christliche Familien, bei den Ereignissen jetzt sind auch schiitische und sunnitische beteiligt. Was damals passierte, war wie eine Art Vorpremiere für den später einsetzenden Bürgerkrieg. Bis heute sind dessen Auswirkungen in Form der anhaltenden Instabilität im Land spürbar.
Könnte Ähnliches auch in Beirut passieren, wenn die Lage dort weiterhin angespannt bleibt? Oder lassen sich die Stadtteile dort weniger klar zuordnen?
Während des Bürgerkrieges war das dort sogar extrem. Danach haben sich die Dinge verändert. Es gilt aber immer noch als schlecht, wenn man nicht in demselben Viertel lebt wie sein Clan. Die meisten Viertel werden inzwischen von Muslimen dominiert.
Wie ist jenes, in dem Sie leben?
In meinem leben vor allem Christen. Ich bin Christ.
Hat sich die Stimmung zwischen den Vierteln nach dem Attentat verändert?
Nein. Allen war klar, dass der Anschlag auf das Konto der Syrer geht. Da es in Beirut keinen syrischen Stadtteil gibt, kann man sich überall frei bewegen. Es reicht, wenn die unsere Nachbarn sind.
Sie beschreiben die libanesische Gesellschaft als äußerst machistisch. Die Männer gieren nach ausländischen Waffen und verehren diese mehr als die Heiligen in der Kirche. Ist das noch immer so?
Ich wüsste nicht, warum sich das geändert haben sollte. Aber auch die Frauen tragen eine Verantwortung bei der Kriegstreiberei. Sie teilen die Ehrbegriffe der Männer.
Auch noch heute?
In Beirut mag das anders sein. Dort sind die Frauen freier. Aber dort, wo starke tribale Strukturen herrschen, ist die Gruppe in einem Kollektivverhalten gefangen. Alle sitzen in einem Boot, und der Kapitän ist natürlich ein Mann.
Das klingt ausweglos.
Leider ist es so. Nicht nur der Libanon, sondern der gesamte Nahe Osten krankt daran. Man streitet sich um Dinge, um die es sich nicht lohnt zu streiten. Um Probleme mit einem anderen Familienclan zum Beispiel. Das sind meiner Meinung nach falsche Probleme, dennoch werden ihretwegen Kriege geführt. Denn bei Auseinandersetzungen mit jemandem aus einem anderen Familienclan kann man den Feind nicht so einfach aus dem Weg räumen, da jeder Clan sehr viele Mitglieder hat. Also begnügt man sich damit, sich gegenseitig auf die Rübe zu hauen. Das geht eine Weile so, irgendwann setzt man sich an den Verhandlungstisch und redet, doch weil sich der andere auch so nicht beseitigen lässt, bricht man die Verhandlung ab. Alles geht von vorne los. Wieder haut man sich gegenseitig auf die Rübe, wieder wird verhandelt. Es findet kein Ende. Voilà.
Wie ermüdend.
Während des Bürgerkrieges war es in Beirut ähnlich wie in den fünfziger Jahren in meinem Heimatort Zgharta: Es gab eine Demarkationslinie, die man nicht überschreiten durfte. Man sagte, dass der andere teuflisch sei, beschimpfte sich lauthals und schoss aufeinander.
Und wie ist es heute in Zgharta?
Ruhig. Aber man geht immer noch nicht ins Viertel der anderen Familie. Untereinander geheiratet wird eigentlich auch nicht.
Viele Libanesen wandern aus. Sie haben nie daran gedacht?
Ich war zwei Jahre in Frankreich. Damals war ich noch verheiratet. Als meine Frau schwanger wurde, sind wir zurück, weil das Leben dort für uns zu teuer war.
Und wenn es wieder Krieg gibt?
Ich werde trotzdem bleiben. Wissen Sie, ich reise viel, da erhole ich mich immer von dem Stress in meinem Land. Ich bin jetzt übrigens in Zgharta angekommen.
Was für ein Auto fahren Sie überhaupt? In Ihrem Roman wirkt es, als hätten im Libanon alle Leute einen Mercedes.
Sie werden lachen, ich sitze tatsächlich in einem Mercedes. Die Leute hier lieben dieses Auto. Ich sagte Ihnen vorhin doch, dass ich in Beirut im Stau stand. Es ist so viel los, weil die Muslime gerade ihr Opferfest feiern. Hier in Zgharta, wo vor allem Christen leben, ist normaler Verkehr. Stau gibt es bei uns nur an Weihnachten. So ist das eben im Libanon.
Das Gespräch führte Karen Krüger
Jabbour Douaihy: „Morgen des Zorns“. Aus dem Arabischen übersetzt von Larissa Bender. Hanser, 340 Seiten, 24,90 Euro.
Den vollständigen Artikel finden Sie hier.
Dr. Daniele Ganser, Jahrgang 1972, studierte an den Universitäten Basel und Amsterdam u.a. Geschichte, Philosophie und Anglistik und setzt sich seit vielen Jahren intensiv mit Friedensforschung auseinander. Mit seiner Dissertation „NATO-Geheimarmeen und inszenierter Terrorismus in Europa im kalten Krieg" befasste er sich schon sehr früh mit einem Thema, das mit dem Anschlag von 9/11 von einem Tag auf den anderen weltweit allgegenwärtig werden sollte. Bald nach dem Anschlag von 9/11 kamen erste Zweifel an der offiziellen Version der Geschehnisse rund um das Attentat auf. Es ging und geht auch heute noch insbesondere um die Frage, ob der Anschlag von offizieller Seite inszeniert oder geduldet war. Der Friedensforscher Ganser setzt sich damit auseinander, welche wahren Ziele mit Kriegen verfolgt werden. Oil Peak, die Massenvernichtungswaffenlüge, vermeintliche Atombomben im Iran, die Neutralität der Schweiz, Terroranschläge und erneuerbare Energien erscheinen in einem interessanten Zusammenhang, der zu denken geben muss. Lesen Sie ein Gespräch, das aufzeigt, wie komplex zahlreiche politische und wirtschaftliche Entscheide sind, wie die Meinungen vielfältig auseinandergehen und wie auch die Schweiz betroffen ist.
Christian Dueblin: Sehr geehrter Herr Dr. Ganser, Sie beschäftigen sich mit geopolitischen Fragestellungen, dem Thema Oil Peak und mit erneuerbaren Energien. Sie haben aber auch Studien zur Friedensforschung betrieben, haben zahlreiche Bücher über Kriege, Terrorismus und versteckte Armeen sowie inszenierte Attentate verfasst. Was hält Ihrer Ansicht nach Ihre zahlreichen und auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinenden Forschungstätigkeiten im Innersten zusammen sprich, was treibt Sie an?
Dr. Daniele Ganser: Das tragende Element, das diese Themen verbindet, ist für mich ganz klar die Friedensforschung. Ich habe schon sehr früh eingesehen, dass ich in der Schweiz ein sehr privilegiertes Leben führen kann. Wir sind hier auf einer Art Insel. Es gibt hier keine Landminen, man wird nicht erschossen, es gibt Bildungsmöglichkeiten für jedermann und ich kann das Wasser aus dem Hahn trinken. Wenn man diese Situation nun mit anderen Menschen vergleicht, die in Ländern wohnen, die ich bereist habe und die Blickpunkt meiner Studien sind, so stellt sich gezwungenermassen ein Schockzustand ein. Es war mir ein Anliegen, gewisse Zusammenhänge und Machenschaften auf der Welt aufzudecken.
Mein erstes Buch handelte von der Kuba-Krise. Es ging damals um die Stationierung von nuklearen Raketen auf Kuba. Das führte zu grossen Spannungen und die Welt schrammte 1962 knapp an einem grossen Unglück vorbei, das einen Dritten Weltkrieg hätte auslösen können. Ich wollte u.a. auch die Rolle der Weltfriedensorganisation UNO in Bezug auf diese Krise näher beleuchten. Ich stellte bald fest, dass einiges in Bezug auf meine Vorstellungen über diese Weltfriedensorganisation nicht zusammenpasste und ging den Dingen systematisch und wissenschaftlich auf den Grund.
Was haben Sie bei Ihren Studien herausgefunden und was hat Sie bewogen, später auch andere Gewaltkonflikte unter die Lupe zu nehmen?
Die Amerikaner führten schon seit der Machtergreifung von Fidel Castro 1959 einen verdeckten Krieg gegen Kuba Die Probleme zwischen den zwei Ländern begannen also nicht erst während der Raketenkrise 1962. Es war immer schon das Ziel der USA, Fidel Castro zu stürzen. Das bekannteste und vom CIA inszenierte Beispiel, das die meisten Menschen kennen, ist wohl die „Schweinebuchtinvasion" von 1961. Diese misslang. Danach erstellte das Pentagon einen geheimen Plan mit dem Namen „Operation Northwoods". Gemäss diesem Plan wollten die Amerikaner ein amerikanisches Schiff an der Küste von Kuba in die Luft sprengen und dieses Attentat Fidel Castro anhängen. Auch hatte man im Sinn, eine Drohne über Kuba in die Luft zu sprengen, mit der Absicht, die Kubaner für den Abschuss verantwortlich zu machen. Auch in den USA selber wollte man Sprengungen inszenieren, um sie Fidel Castro anhängen zu können. Dokumente aus dem Pentagon beweisen also, dass das Pentagon geplant hat, Terroranschläge zu inszenieren, um einfacher gegen Kuba vorgehen und die Bevölkerung für einen Krieg animieren zu können. Der Plan wurde nie ausgeführt, weil ihn Präsident Kennedy stoppte. Aber ich fand diese Vorgehensweisen der verdeckten Kriegsführung abscheulich und interessant zugleich und wollte mehr über die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe wissen.
Sie sprechen eine klare Sprache und haben mit vielen Aussagen und Themen, die Sie angegangen sind, auch Kritik einstecken müssen. Was haben Sie in der Schweiz diesbezüglich für Erfahrungen gemacht?
Als ich anfänglich über die Kuba-Krise schrieb und zur verdeckten Kriegsführung beispielsweise in Nicaragua recherchierte und auch Beweise vorlegen konnte, wurde das von der Universität honoriert. Ich bekam Bestnoten und man lobte meine Arbeit. Ich machte damals aber noch keine Medienarbeit, gab also keine Interviews. Ich war aber schon damals weltweit mit anderen Forschern sehr gut vernetzt. Mit ihnen habe ich Bücher und Texte ausgetauscht. USA und England sind Länder, die traditionell verdeckte Kriegsführung betreiben. Da erstaunt es auch nicht, dass die meisten meiner Kontakte, die auf demselben Gebiet forschen, in London und in Washington zuhause sind. Sie stellen in ihren eigenen Ländern eine gewisse intellektuelle Opposition dar. Diese Menschen verstehen die verdeckte Kriegsführung und heissen sie nicht gut. Sie machen immer wieder darauf aufmerksam, dass es schlicht und einfach nicht stimmt, dass die USA und Europa, also die NATO Länder, seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor allem die Menschenrechte und die Demokratie gefördert haben, und dass alle Kriege diesen Zielen dienten. Und in der Tat ist das eine sehr verlogene Geschichte, die nicht mit den Fakten übereinstimmt. Diese Forscher und Experten, von denen ich viel lernen durfte, zeigen deutlich auf, dass in vielen Fällen Krieg nur dazu dient, wirtschaftliche Interessen wahrzunehmen, also Profit. Das gefällt natürlich nicht allen Menschen gleich gut. Ich selber wollte Friedensforschung betreiben, jedoch vor allem das Gebiet „verdeckte Kriegsführung" näher beleuchten.
Sie haben damals die NATO unter die Lupe genommen und ein Buch über verdeckte Geheimarmeen und inszenierten Terrorismus geschrieben, das weltweit zur Kenntnis genommen wurde. In dieser Doktorarbeit bearbeiteten Sie das Gebiet Terrorismus. Wie kamen Sie dazu, diese Themen anzugehen, die doch für einen Laien auch etwas exotisch klingen?
Ich suchte damals im Rahmen meiner Doktorarbeit ein spannendes Thema, das noch niemand bearbeitet hatte und bekam den Hinweis aus den USA, dass das Thema NATO und Geheimarmeen noch nicht erforscht sei. 1998 fing ich an, mich um die NATO-Geheimarmeen und inszenierten Terrorismus zu kümmern und stellte erste Recherchen an. 1998 wurde noch nicht von „Terror" gesprochen. Vier Jahre später, 2001, war meine Doktorarbeit fertig. Es kam kurz darauf zum Anschlag von 9/11, den wir alle kennen. Die Interessenlage rund um das Thema „Terrorismus" änderte sich innerhalb von wenigen Minuten schlagartig und ich wurde aufgrund meines Dissertationsthemas von vielen Medien zum Thema Terror kontaktiert. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mein Buch über die NATO und die Geheimarmeen ist mittlerweile in über 10 Sprachen übersetzt worden und hat sich sehr gut verkauft. Das ist für eine Doktorarbeit ungewöhnlich.
Sie bekamen für diese Dissertation Lob. Die Zeitschrift „Der Spiegel" nahm das Thema ebenfalls auf und machte auf kriminelle Machenschaften aufmerksam, die Sie in Ihrem Buch beschreiben. Sie mussten aber schon früh auch Kritik einstecken, da Sie mit Ihren Aussagen an einem Weltbild rüttelten, an das viele Menschen glauben und von dem sie sich nicht abbringen lassen wollten. Wie gingen Sie mit dieser Kritik um?
(....)
Sehr geehrter Herr Dr. Ganser, was wünschen Sie sich für die Schweiz und die Energieprobleme, die anstehen und gelöst werden müssen?
Die Schweiz hat keine Truppen, die sie, wie das andere Länder tun, in erdölreiche Regionen der Welt entsenden kann, um Ölreserven zu sichern. Und das ist gut so. Die Schweizer Neutralität muss weiter hochgehalten werden. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn keine Länder auf der Welt mehr Truppen in andere Länder senden würden. Dann hätten wir einige Probleme gelöst. Die Schweiz sollte dabei bleiben, keine Truppen in Kriege zu senden. Was wir tun können ist, unsere Häuser besser zu isolieren und unser Konsumverhalten anzupassen. Das ist machbar. Andere Länder, wie beispielsweise die USA, gehen ganz andere Wege. Häuser werden gar nicht isoliert und es werden nach wie vor Autos gefahren, die ungeheuer viel Benzin verbrauchen. Mit dieser Einstellung wird den Menschen in den USA gar nichts anderes übrig bleiben, als Truppen in andere Länder zu senden, um dort Ölreserven sicherzustellen. Die Schweiz hat in langer Tradition gezeigt, dass Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. Ein Konflikt ist nichts Schlechtes. Man kann daran wachsen. Kommt es aber zum Krieg, gibt es nur Elend.
Buchhinweis: Im September 2012 erscheint im Orell Füssli Verlag das neue Buch von Herrn Ganser: Europa im Erdölrausch. Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit. 400 Seiten. 35 Franken.
Hier finden Sie das vollständige Interview von Herrn Christian Düblin in xecutives.net
Rezension von Julia Schöpp
Die „Monde Diplomatique“ hat gemeinsam mit der taz im Frühling 2012 ihre elfte Ausgabe der „Edition Le Monde“ herausgebracht. Die Editionen sind Sonderausgaben der LMD, in denen Artikel aus den verschiedenen Ausgaben der Monde Diplomatique, ergänzt um aktuelle Reportagen, Essays, Porträts sowie vielen Karten, Grafiken, Chronologien und Links, gesammelt sind. Das Thema der aktuellen Ausgabe: Die Arabische Welt.
Auf dem Cover der Zeitschrift, dessen Hintergrund in grün gehalten ist, ist das Portrait einer jungen Frau abgebildet, mit Kopftuch, die fest und entschlossen in die Kamera schaut (dabei erinnert es an die Fotoserie von Feriel Bendjama für den zenith-Fotopreis). Zusammen mit dem Untertitel des Magazins – Ölscheichs, Blogger, Muslimbrüder – vereint dieses Cover somit in einem Rundumschlag die Klischees, die seit dem vielbesagten Frühling 2011 in der deutschen Medienlandschaft von der Arabischen Welt vorherrschen.
Doch schon im Editorial betont Jakob Horst, dass dies nicht das Ziel sei: Keine Klischees sollten reproduziert werden, sondern es ginge darum, „genauer hinzusehen“. Das, so der Redakteur, geschehe immer weniger, da die Öffentlichkeit das Interesse an den komplexen postrevolutionären Prozessen verloren habe.
Diesem Ziel wird die Edtition Le Monde gerecht. Dreiundzwanzig Journalisten und Journalistinnen von verschiedenster Nationalität und Herkunft, darunter auch große Namen wie Volker Perthes und Edward Said, berichten über eine breite Auswahl von Themen. In der Kategorie „Religion und Sprache“ erzählt Edward Said aus einem sehr persönlichen Blickwinkel von den Eigenheiten der Arabischen Sprache und der Rolle, die das Hocharabische (fusha) und die Alltagssprache (ammiya) für die Araber spielen.
Volker Perthes schreibt über „Die letzten Tage des syrischen Regimes“. Dieser Titel mag aus heutiger Sicht voreilig erscheinen, sein abschließender Satz jedoch aktueller denn je: „Je länger es dauert, bis das Regime weicht, je mehr der Aufstand sich militarisiert und die Aufstände einen konfessionellen Charakter annehmen, desto schwieriger werden Versöhnung und politischer Wiederaufbau nach dem unabwendbaren Ende des derzeitigen Regimes.“
Die Edition LMD bietet auch darüber hinaus eine Vielzahl gut recherchierter Artikel abseits des Mainstreams der „Arabischer Frühling“-Berichterstattung, beispielsweise über die Rolle der Fußballfans oder der Arbeiterbewegung während der ägyptischen Revolution. Das Embargo der 1990er Jahre gegen den Irak wird kritisch thematisiert, ebenso die Lage der Palästinenser: Anstatt, wie sonst so oft zu fragen, was die Machtergreifung der Muslimbrüder in Ägypten für Israel bedeuten könnte, beschäftigt sich Joseph Dana mit der katastrophalen Situation der Palästinenser in der so genannten „Zone C“. Diese sowohl militärisch als auch zivil unter der Verwaltung Israels stehenden Gebiete machen den größten Teil Palästinas aus. Auch dem Westsahara-Konflikt widmet sich ein Artikel.
Die Edition LMD „Arabische Welt“ ist also durchaus die Investition von 8,50€ wert, zumal sie aufgrund ihres Fokus auf Hintergrundthemen nicht so schnell an Aktualität verliert.
Hier geht’s zur Homepage der Edition LMD.
von Helga Walter-Joswig
Die beiden Autorinnen sind uns schon mit Werken aus diesem Verlag vertraut. Lamya Kaddor schrieb zusammen mit Rabeya Müller den ersten „Koran für Kinder und Erwachsene“, 2008 erschienen. Lamya Kaddor schrieb das Buch „Muslimisch – weiblich – deutsch! – Mein Weg zu einem zeitgenössischen Islam“ aus dem Jahre 2010 mit ihren Erfahrungen als muslimische Frau in Deutschland. – Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin und in der Religionspädagogik bekannt. Ihre Mitautorin, Rabeya Müller, ist islamische Theologin und ebenfalls Religionspädagogin. Mit vorliegendem Werk möchten die beiden Musliminnen einem interessierten Lesepublikum – aus vielen Alters- und Bildungsstufen - in ihrer eigenen Sichtweise den Islam nahebringen, wobei sie brisante Themen nicht aussparen.
Das überaus komplexe Thema ist in elf Kapitel strukturiert. Es beginnt mit „Viele Namen, ein Gott“, eine Vorstellung Gottes - Schöpfer in vielen Religionen - und seinen 99 Namen im Islam. Es folgen die „Fünf Säulen des Islam“, das sind die Pflichten, denen sich jeder Muslim unterwerfen muss. Die Autorinnen stellen sie im Einzelnen vor: 1. das Glaubenszeugnis, 2. das Gebet, zu welchem der Ablauf illustriert ist. Dazu gehört als wichtige Prämisse die Gebetswaschung, denn jeder Gläubige muss vor dem Gebet rein sein, was ebenso bildlich erläutert ist, 3. das Fasten im Ramadan mit genauer Beschreibung des Alltagslebens in dieser Zeit, 4. die Pflichtabgabe, die den Armen und Bedürftigen, den Verschuldeten oder Reisenden zugute kommen soll. Schließlich ist die fünfte Säule die Pilgerfahrt nach Mekka, mit Erklärungen zu Kleidung und Verhaltenweise bei den vorgeschriebenen Riten.
Mit „Allahu akbar“ ist das dritte Kapitel „ Die Moschee, das Haus der Gemeinde“ überschrieben. Wir erfahren, was zu einer Moschee gehört und die Geschichte von Moscheen und Gebetshäusern in Deutschland. Des weiteren den Imam als Gemeindevorsteher und einen Diskurs zur Frage ‚Frauen als Imame?’ Was lernen Schüler in den Koranschulen? Die Autorinnen plädieren für die deutsche Sprache im Koranunterricht, da viele junge Muslime inzwischen das Deutsche besser beherrschten als ihre Herkunftssprache.
Das wichtige vierte Kapitel nennt sich „Der Koran, das Wort Gottes – ‚das Buch, an dem kein Zweifel besteht’“ mit den Untertiteln ‚Gott spricht selbst’ durch die Offenbarung an Muhammad. ‚Suren und Verse’ zeigen die Gliederung des heiligen Buches, ‚Gebote und Verbote’ sowie die ‚Speisegesetze’. Große Diskussionen gibt es in Deutschland zum ‚Schächten’, das im geltenden Tierschutzgesetz verboten ist. Es folgt die Rubrik ‚Den Koran verstehen’ mit Erläuterung der Begriffe ‚Auslegung’ und ‚Interpretation von zentralen Aussagen’. Weiters werden das Alkoholverbot, die Theologischen Schulen mit ihren divergierenden Denkrichtungen angesprochen. Die Autorinnen stellen anschließend im fünften Kapitel „Die Scharia, das islamische Recht“ die verschiedenen Rechtsschulen vor und wir erfahren Näheres zu den angeschnittenen Fragen ‚Harte Strafen?’ und ‚Was ist eine Fatwa?’
Ein längeres, den theoretischen Teil der Religion des Islam abschließendes Kapitel ist dem Propheten gewidmet „Muhammad, der Gesandte Gottes“. Es werden seine Lebensgeschichte und die Überlieferung seiner Worte und Taten behandelt sowie die große Spaltung des Islam in Sunna und Schi’a nach dem Tode des vierten Kalifen Ali.
Das folgende Kapitel gibt einen Einblick in das Zusammenleben von Frauen und Männern in Ehe und Familie. Die Autorinnen prangern Auswüchse in Form von Zwangsheirat und Ehrenmord an. Hier finden wir auch Erklärungen zum Tragen des Kopftuchs als äußeres Zeichen muslimischer Frauen in der Öffentlichkeit. Im nächsten Abschnitt „Tradition und Kunst“ werden die Themen ‚Glaube und Wissenschaft’, ‚Der böse Blick’, ‚Musik und Tanz’ und ‚Verbotene Bilder?’ vorgestellt. Im 9. Kapitel „Der Islam und die Anderen“ belegen die Autorinnen, dass es auch im Islam eine Periode der Aufklärung wie in den westlichen Staaten gegeben hat und dass der Islam sehr wohl den Begriff ‚Toleranz’ kennt und achtet. Es wird allerdings Respekt vor den anderen Gläubigen gefordert. Damit sind Besitzer eines heiligen Buches gemeint, wie Juden und Christen. Die beiden letzten und politischen Abschnitte der Abhandlung sind u.a. der Islamkritik mit dem Phänomen ‚Meinungsmache’ gewidmet sowie der islamischen Vielfalt in Deutschland. Eine Landkarte vermittelt die Ausbreitung des Islam weltweit. In diesem Zusammenhang werden die verschiedenen Baustile der Sakralarchitektur anhand bedeutender Moscheen vorgestellt. –
Das Nachwort im Anhang wirft einen Blick auf das sogenannte ‚Bilderverbot’ und ‚Islamische Medien in Deutschland’ mit Fernsehen, Rundfunk und den Angeboten des Internet. Literaturhinweise, ein Register und ein Verzeichnis der angesprochenen Koranstellen beschließen das Buch.
Wunderschön sind die originellen Zeichnungen der Kulturillustratorin Alexandra Klobouk, einer Meisterschülerin an der Kunstschule Berlin-Weißensee. Den Buchumschlag in ansprechender Farbkomposition zieren Bauwerke aus dem muslimischen Kulturkreis, hübsch ineinandergeschachtelt. Die vielen ideenreichen Illustrationen, künstlerisch gestaltet in Braun- und Gelbtönen, im Innern des gebundenen und mit einem Lesebändchen versehenen Buchs, veranschaulichen den Text. Dieser ist mit einer Fülle an Themen sehr verständlich geschrieben und mit beredten Beispielen belegt. Dem tut eine Unstimmigkeit auf Seite 51 keinen Abbruch: Die Erklärung zur Vokalisierung ist nicht ganz korrekt, denn es gibt im Gegensatz zu den Zeichen für Vokale, die wegfallen können, diakritische Zeichen. Diese gehören zu bestimmten Konsonanten und sind zur Unterscheidung unabdingbar. Außerdem sind die Bezeichnungen für ‚Haus’ und ‚Mädchen’ unter den arabischen Worten vertauscht.
Das Ziel des Werkes, eine – auch innerislamische – Diskussion anzuregen, verfolgen die Autorinnen mit großem Engagement. Sie haben zum einen selbstkritisch Dinge aus dem Islam angesprochen, fordern andererseits aber „auch eine differenzierte Sichtweise von nicht-muslimischer Seite“. – Dem interessanten, informativen Buch, lange ein Desiderat, sollte eine weite Verbreitung beschieden sein.
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erklärt von Lamya Kaddor und Rabeya Müller
illustriert von Alexandra Klobouk
Verlag C. H. Beck, München 2012
176 Seiten, Halbleinen € 19.95
ISBN 978-3-406-64016-2
Ein Buch, das Lebenshilfe, Inspiration zu vertiefendem Betrachten und Kunstgenuss zugleich darstellt: die Originaltexte der einzelnen Geschichten,die leidenschaftliche Sprache des deutenden Poeten und die in ihre gegenwärtige Dimension einführende Auslegung der Erzählungen mit schwerpunktmäßiger Interpretation gehaltvoller Sätze lassen das Lesen zu einem Geist und Seele durchdringenden Erlebnis werden.
Wolfram Stutz, Jahrgang 1956, erhielt die Sammlung der Erzählungen aus den Tausendundein Nächten als Geschenk von seinem Bruder Michael Stutz. "Dafür müsste ich meinem Bruder ein Denkmal setzen!" sagt der Schriftsteller
1995 begann er mit der Lektüre, zwei Jahre später mit der Abschrift des Werkes. In Bayreuth gab er ab 2001 sein erworbenes Wissen mit Begeisterung weiter. Im Dotzauer-Literaturforum fanden seine Vorträge und Interpretationen dankbare Aufnahme und hohe Anerkennung.
Old versus new, democracy versus dictatorship, madness versus sanity...
Ithaca Press is pleased to announce the publication of Madmen at the Helm: Pathology and the Arab Spring, by Muriel Mirak-Weissbach.
Are dictators mad or do they just not know when to quit? Do they know that people hate them, or do they have personality disorders that block this knowledge from their consciousness?
While taking into due consideration the geopolitical manipulations from outside forces, Muriel Mirak-Weissbach takes a unique perspective when she places the events of the Arab Spring in the context of personality disorders such as narcissism, paranoia, delusion, hysteria and sociopathy, considering five Arab leaders (Mubarak, Qaddafi, Ben Ali, Saleh and Assad) in turn.
A watershed in Arab history, the Arab spring gave young protesters the impetus to challenge established and entrenched dictatorial regimes for the first time, and to demand representative government. Mirak-Weissbach examines the public statements, speeches, interviews and courses of actions of the five leaders in response to these challenges, and identifies patterns and similarities of behaviour. She then argues that their responses illustrate their psychological inability to face reality, and their determination to cling fanatically to power in the face of revolt.
A postscript to the book serves to show that this is a universal phenomenon, not a uniquely Arab one, by identifying examples of narcissism and its associated disorders in contemporary American politics; specifically in the behaviour of George W. Bush and Sarah Palin.
This book will have huge appeal to those interested in gaining a deeper insight into the catalyst for and responses to the Arab Spring, and its implications for the future of democracy and power, in the Middle East and elsewhere.
Muriel Mirak-Weissbach has worked for thirty years as a political journalist, specialising in economic, political and cultural developments in the Arab and Islamic world. She worked with an international press agency for many years and published hundreds of articles in various political and cultural journals on topics related to development policy, the dialogue between Christianity and Islam, and political events in the Arab and Islamic world.
Lubna Abdullah Al Balushi,
geboren und aufgewachsen in Maskat, der Hauptstadt des Oman, ist gelernte Buchhalterin und führt heute dort das Büro einer Schweizer Firma. In den letzten drei Jahren hat sie Deutsch gelernt und sich so sehr in die Sprache verliebt, dass sie ihre Passion für Poesie nun auf Deutsch auslebt.
von Helga Walter-Joswig
In einer Zeit, in der die Medien nicht nur in Deutschland oft und gerne über Moscheebauten diskutieren, liegt es nahe, sich mit diesem Thema intensiver zu beschäftigen. Die Moschee ist das Symbol, mit der sich eine islamische Gemeinde nach außen sichtbar repräsentiert. Die Geschichte der Moschee in ihrer ausgeprägten Architektur und das religiöse Leben, dem sie dient, werden in vorliegendem Werk vorgestellt. - Der Autor ist Professor für Islamische Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Bamberg. 2008 ist von ihm im gleichen Verlag die Geschichte der islamischen Kunst erschienen, welche hier ebenfalls besprochen wurde.
Die Einleitung behandelt „Funktion und Bedeutung von Moscheen“. Mit der Auswanderung des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina im Jahre 622 n. Chr. konstituierten sich die Anhänger zu einem politisch-religiösen Gemeinwesen. Für die vorgeschriebenen Ritualgebete und allgemein die Versammlung der Gläubigen war ein Kultbau notwendig geworden. Insbesondere für das Freitagsgebet, dem sich die wichtige Predigt des Imam anschloss. So muss die Moschee im Prinzip drei Kriterien erfüllen: Abgrenzung nach außen, Ausrichtung nach Mekka und kultische Reinheit, die sich bis heute erhalten haben. Die sogenannte Große Moschee für den Freitagsgottesdienst ist zusätzlich mit einer Predigtkanzel ausgestattet. Die Vielfältigkeit der Sakralarchitektur, die sich in den Ländern zwischen Marokko und Indonesien im Laufe von 14 Jahrhunderten entwickelt hat, ist beeindruckend. Interessant sind auch die Namen, welche die Moscheen tragen; oftmals nach Stiftern benannt, aber auch nach Lage oder Umgebung. So ziert als Titelbild die berühmte „Blaue Moschee“ in Istanbul den Buchumschlag.
Im Hauptteil führt uns Lorenz Korn durch die Geschichte der Moschee von der Frühzeit des Islam (622 – 750) bis zur Gegenwart. – Die Ausführungen, beginnend mit Kapitel II. „Monumente einer neuen Religion“, gelten chronologisch der Moschee des Propheten, den Moscheen der Eroberer und jenen aus der Umayyadenzeit. In Letzteren wurde erprobt und eingeführt, was aus heutiger Sicht einen wesentlichen Bestandteil der Architektur und Einrichtung einer Moschee ausmacht. Allerdings ist der berühmteste Sakralbau dieser Zeit, der Felsendom in Jerusalem – erbaut ab 692 n.Chr. - , keine Moschee, sondern dient als Baldachin, den heiligsten Ort auf Erden zu schützen und hervorzuheben. Auch aus der Frühzeit des Islam stammt die berühmte Ka’aba in Mekka, „Haus Gottes“ und Moschee, erbaut ab 622.
Kapitel III. „Gebete im Namen des Kalifen“ behandelt die klassische Epoche des Islam (750 – 1400): Moscheen der Abbasidenzeit in Thema und Variationen; Weiterentwicklung des Betsaals – Moscheen des islamischen Westens; der Kuppelraum in Moscheen des Iran; Koranschule und Moschee in Ägypten und Syrien. Die Vielfalt der Formen in Nordmesopotamien und Anatolien beschließen den Abschnitt.
Kapitel IV. „Siegeszug der Kuppel (1400 – 1750)“ beschreibt dieses besondere architektonische Element in den Moscheen, ebenfalls an Hand von Fotos und Architekturzeichnungen. Berühmte Kuppelbauten finden sich besonders in den Ländern vom Hochland des Iran bis zum Ganges. Ausgangspunkt war die osmanische Kuppelmoschee in Edirne, von Sultan Murat II. (1437 – 1447) in seiner Hauptstadt errichtet. Unter anderem bringt Michael Lüders als Beispiel auch die Aladža-Moschee in Foča (Bosnien und Herzegowina), erbaut 1551. Sie wurde im bosnischen Bürgerkrieg 1992 zerstört, so wie viele Gotteshäuser der Kriegsfurie zum Opfer fielen. Dank finanzieller Unterstützung der EU werden sie wieder aufgebaut und zieren Dörfer und Städte.
Das abschließende Kapitel V. „Die Moschee von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart (ab 1750)“ weist zunächst auf den europäischen Historismus und orientalische Variation und führt zur Moderne und Postmoderne. „Moscheen und Diaspora“ betrifft im Besonderen auch den europäischen Raum. Wie aus den Medien bekannt, trafen einige Bauten in Deutschland auf heftigen Widerstand der ansässigen einheimischen Bevölkerung. Nichtsdestoweniger sind sie eine große Bereicherung der Architektur in Städten und Gemeinden. Beispielhaft nennt Lorenz Korn die Moscheen in Berlin, Hamburg, Duisburg, Mannheim, Köln, Penzberg oder München. Wobei er den in Mitteleuropa entbrannten Streit um das Minarett nicht ausspart.
Der nützliche Anhang bietet ein Glossar, eine Tafel der Dynastien in der islamischen Geschichte, Literaturhinweise, den Bildnachweis sowie Personen- und Ortsregister. Die beiden Karten in den Umschlaginnenseiten des Taschenbuchs zeigen den Ost- bzw. Westteil der islamischen Welt. – Viel Wissen verständlich vermittelt, empfehlenswert!
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Lorenz Korn
Die Moschee: Architektur und religiöses Leben
Verlag C.H. Beck
Beck’sche Reihe Wissen, München 2012
128 Seiten mit 60 Abbildungen (Fotos, Grundrisse etc.), davon 23 in Farbe, und 2 Karten
Broschur € 8,95
ISBN 978-3-406-63332-4