Kämpfe in der Nähe eines Sendeturms in der libyschen Stadt Sirte. Kämpfe in der Nähe eines Sendeturms in der libyschen Stadt Sirte. (Bild: Mohamed Ben Khalifa / AP) Die Terrormiliz Islamischer Staat kann einen weiteren Propagandaerfolg verbuchen. Nach der Einnahme der Hafenstadt Sirte im Nordosten Libyens etabliert sie sich als dritte Machtgruppe in dem Bürgerkriegsland.
Mindestens 30 Tote sind in der Provinzstadt al-Kubba im Nordosten Libyens zu beklagen, in der heute morgen drei Autobomben explodierten. Der Anschlag, zu dem sich am Freitagabend der Islamische Staat (IS) bekannte, dokumentiert das Ausmaß der Gewalt und des staatlichen Zerfalls in dem Land. So verwundert es nicht, dass die Extremisten hier – im Niemandsland zwischen der Regierung von Tobruk und jener von Tripolis – das Machtvakuum ausgefüllt und schon vor Monaten ein «Islamisches Emirat» proklamiert haben.
Schwarze Fahnen in Bengasi
Jenes «Emirat», das sich als Teil des «Kalifats» von Abu Bakr al-Baghdadi versteht, hat seine Machtbasis in der Hafenstadt Derna. Bereits im Oktober erklärte eine islamistische Miliz namens Majlis Shura Shabab al-Islam («islamischer Shura-Rat der Jugend»), dass Derna fortan dem Islamischen Staat unterstehe, und schwor Baghdadi die Treue. Doch beliess man es nicht bei der Mini-Enklave von Derna.
Etwa 850 Kilometer weiter westlich liegt die Hafenstadt Sirte. Libysche Medien meldeten gestern, dass die IS-Jihadisten dort die Regierungsgebäude sowie den örtlichen Radiosender unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Auch die Universität von Sirte sei besetzt, schrieb die libysche Nachrichtenseite «al-Wasat», der Betrieb sei sofort eingestellt worden.
Diese Eroberung ist symbolträchtig. Denn während Derna schon vor dem Aufstand gegen Gaddafi im Frühjahr 2011 den Ruf einer islamistischen Hochburg inne hatte, zählte Gaddafis Geburtsort Sirte zu den letzten Bastionen des alten Regimes. Erst am 20. Oktober 2011, demselben Tag, an dem der Diktator vermutlich in der Nähe Sirtes getötet wurde, fiel die Stadt an die Revolutionäre. Dass sich der Ort heute in den Händen libyscher Jihadisten befindet, dürfte Gaddafi in seinem Grab bestätigen. Der Despot hatte stets alle seine Gegner als Kaida-Anhänger beschimpft und vor dem Chaos nach seinem Sturz gewarnt.
Zumindest teilweise von Jihadisten kontrolliert wird auch Libyens zweitgrößte Stadt Bengasi. Erst kürzlich wurde ein Propagandavideo im Internet veröffentlicht, das zeigt, wie eine Kolonne nagelneuer Polizeifahrzeuge mit schwarzen IS-Fahnen unter dem Beifall von Passanten in die Stadt einfährt.
Festhalten am Waffenembargo
Wie geht es nun weiter? Nicht nur die international anerkannte Regierung in Tobruk hat angekündigt, ihre Angriffe gegen den IS auszuweiten. Auch die Gegenregierung in Tripolis, deren Lager sich Fajr Libya («Libysche Morgenröte») nennt und vor allem von den islamistischen Muslimbrüdern und den Misrata-Milizen dominiert wird, soll angeblich planen, eigene Truppen gegen den libyschen IS zu schicken. An eine Art militärischer Kooperation beider Lager ist derzeit aber nicht zu denken. Zwar finden unter Uno-Vermittlung gerade Friedensgespräche zwischen Vertretern von Tobruk und Tripolis statt. Von einer Einigung aber sind die tief zerstrittenen Akteure weit entfernt.
Auf einer Sondersitzung im Uno-Sicherheitsrat forderte der Außenminister von Tobruk, Mohammed al-Dair, gestern ein Ende des Waffenembargos gegen sein Land. Libyen, so Dair, müsse sich gegen den IS zur Wehr setzen, außerdem sei die Extremistengruppe näher an Europa herangerückt. Auch Ägypten fordert energisch Waffenlieferungen für die Regierung von Tobruk. Das Nachbarland sieht sich nach der Enthauptung von 21 entführten ägyptischen Christen direkt bedroht und flog als Vergeltungsmaßnahme bereits am Montag Luftangriffe gegen mutmaßliche IS-Stellungen in Libyen. Weiterhin festhalten am Waffenembargo wollen aber die USA und Großbritannien, sie plädierten gestern im Sicherheitsrat für eine nationale Regierung der Einheit.
Den vollständigen Artikel der NZZ erschien am 20.02.2015 von Daniel Steinvorth finden Sie hier.
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