Tausende Flüchtlinge kommen derzeit jede Woche nach Deutschland. Viele von ihnen sind bestens ausgebildet. Doch Deutschland nutzt diese Chance nicht. Wir stellen sechs Menschen vor, die nichts lieber tun würden, als hier zu arbeiten.
Den vollständigen Artikel von Hans von der Hagen erschien in der SZ am 10.03.2015 finden Sie hier.
Irgendwann ging es nicht mehr. Das Geld war eh schon knapp. Und dann kam diese seltsame Krankheit dazu. Kein Arzt in Armenien vermochte zu sagen, was die Frau von Artur Gogoryan hatte. Bezahlen musste er die Mediziner trotzdem, offiziell und unter der Hand auch noch. Wie es in Armenien so üblich ist. Als das Geld aus war, verkaufte Gogoryan seine Wohnung. Und überlegte, wie es weitergehen könnte. In Deutschland sollten die Ärzte besser sein. Er ging zur Botschaft in Eriwan beantragte ein Touristenvisum; seine Familie durfte mitkommen.
Nun ist er hier in Deutschland. 2013 stellte Gogoryan seinen Asylantrag. Nicht, weil er politisch verfolgt wurde, sondern aus humanitären Gründen. Weil seine Frau schwer krank ist. Die Familie lebt in der Nähe von Nürnberg. Ein 22 Quadratmeter großes Zimmer teilt sich Gogoryan mit seiner Frau und den beiden Kindern, acht und 18 Jahre alt. Er selbst ist 48 und macht das, was hierzulande knapp 180 000 weitere Menschen machen müssen, über deren Asylantrag noch nicht entschieden wurde: warten.
Das ist nicht leicht für einen wie Gogoryan. Schon zu Schulzeiten schraubte er alles auseinander, wo Elektronik drinsteckte. Später wurde er an der Universität Eriwan zum Radio-Ingenieur ausgebildet. Gogoryan sagt lieber Radio-Elektro-Ingenieur, damit deutlich wird, dass er Elektrotechniker ist. Die unterschiedlichen Berufsbezeichnungen in den einzelnen Staaten sind oft ein Problem.
Nach dem Studium war er bei einem Unternehmen beschäftigt, das Radargeräte an die Rote Armee lieferte. Alles lief gut, doch Anfang der 90er Jahre kollabierte mit der Sowjetunion auch die Industrie Armeniens. Gogoryan musste sich etwas Neues suchen. Nicht leicht in einem Land, das bereits durch das gewaltige Erdbeben 1988 erschüttert worden war, später in den Krieg um die Region Bergkarabach verwickelt war, unter Wirtschaftsblockade stand und nur einmal am Tag für eine Stunde Strom hatte. Trotzdem fand Gogoryan etwas: Er übernahm den Garantieservice für die Firma Sharp. Gogoryan erzählt das alles mit scheinbar großer Ruhe - trotz der Krankheit seiner Frau, der fehlenden Arbeit, des engen Zimmers.
Wo er gerne arbeiten würde? Bei Siemens oder Bosch als Ingenieur, der immerhin Russisch, Armenisch, Englisch, Deutsch und ein wenig Georgisch sprechen kann. Einen Monat lang hat er das in Nürnberg im Rahmen eines Praktikums gemacht. Anfangs hatte er Sorge, dass die modernen Elektrogeräte in Deutschland zu kompliziert seien. Doch das war kein Problem. Elektronik ist eine Weltsprache.
Und nun? Seit Januar hat sich zumindest auf dem Papier die Situation für Flüchtlinge deutlich verbessert. Drei Monate nach Einreichung des Asylantrags dürfen sie sich eine Arbeit suchen. Davor mussten sie ein Jahr lang warten. Eine Stelle bekommen Asylbewerber freilich nur dann, wenn kein Deutscher, kein EU-Bürger und auch kein anerkannter Flüchtling sie haben möchte. Seit jeher bemüht sich Deutschland darum, auf viele Neuankömmlinge möglichst abweisend zu wirken. Auch Gogoryan bekommt das zu spüren. Andererseits gibt es viele, die ihm weiterhelfen: Die Leute vom Projekt Bleib beim Integrationsrat in Nürnberg, von der Kirche - und auch die Ärzte, die mittlerweile feststellten, dass seine Frau an Neuromyelitis optica leidet. Das ist eine tückische Krankheit, die Multipler Sklerose ähnelt.
Ansonsten ist nach anderthalb Jahren in Deutschland noch immer alles offen. Ob er bleiben darf? Artur Gogoryan weiß es nicht. Immerhin: Seine Tochter studiert jetzt hier Wirtschaft. Die sei wie er, sagt Gogoryan: "Immer muss sie etwas machen."
Neben Artur Gogoryan erzählen fünf weitere Personen in kurzen Protokollen ihre Geschichte.
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