Etwa 20 km nordwestlich von Riyadh liegt eine der geschichtsträchtigsten Ruinenstädte des Königreichs: Diriyah wurde 2010 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Die Stadt sieht einer grandiosen Zukunft entgegen.
Gegründet 1446 war sie Heimat der Saudischen Königlichen Familie und Hauptstadt der ersten Saudischen Dynastie von 1745-1818. Die jahrzehntelang verlassene Stadt mit Palästen, Moscheen und Wohnhäusern in traditioneller Lehmarchitektur erlebte ihre Blüte zu Beginn des 18. Jahrhunderts - als größte Stadt auf der arabischen Halbinsel. Die Bewohner kamen aus dem Hijaz, Irak, Levante, Oman und Jemen. Diriyah ist der Ort eines bedeutenden religiösen Ereignisses: im Jahr 1745 schlossen Imam Mohamed bin Saud, Prinz von Diriyah und Sheikh Mohammed bin Abdul Wahhab einen Vertrag: die Grundlage für die Existenz des Königshauses bis heute, das ohne die erzkonservativen Wahhabiten nicht regieren kann. Die Geschichte der Stadt wird im Nationalmuseum von Riyadh anschaulich erklärt.
Großformatige, Jahrzehnte alte Luftaufnahmen in s/w vermitteln dort einen Eindruck von der früheren Ausdehnung des berühmten Stadtteils Turaif, in dem sich die Paläste befinden und man kann sogar einzelne Bauwerke in ihrer typischen Lehmarchitektur erkennen. Von den neuen Gigaprojekten des Kronprinzen, die im Rahmen der Vision 2030 entstehen, ist das Diriyah Gate Project das einzige, das nicht - wie die übrigen NEOM, Amaala, Red Sea Project und Qiddiya - völlig neu in einer bisher fast gänzlich unbewohnten Gegend des riesigen Landes aus dem Boden gestampft wird. Vielmehr ist Turaif das größte Renovierungsprojekt des Königreichs - freilich gekoppelt mit neuen Einrichtungen. Renoviert werden einige Königspaläste und umliegende Gebäude, diese Arbeiten sind bereits teilweise abgeschlossen. Fertig ist auch ein neues, modernes Museum, das in gelungener Weise - unter Verwendung von viel Glas - in das Ensemble der traditionellen Paläste integriert wurde: das Arabian Horse Museum.
Um zur geplanten neuen Touristendestination der Superlative im Hinblick auf Kultur und Lebensart zu werden, ist aber noch weit mehr erforderlich. Dafür stehen 7 qkm zur Verfügung. Der Masterplan sieht insgesamt vier Museen, fünf Kunstgalerien und zwei Theater vor. Ferner ist die Rede von 86 Einrichtungen für Sport, Unterhaltung, Kultur und Gastronomie, in denen einmal 50.000 Arbeitsplätze entstehen sollen. Die Investitionssumme beträgt etwa 17 Mrd. USD. Des Weiteren sind in Turaif über 20 neue Resort Hotels geplant, die in der Nähe der bereits seit ca. 18 Monaten existierenden Formel-E Rennstrecke und der Arena mit 15.000 Sitzplätzen gebaut werden. Im November 2019 fand das 2. Internationale Formel-E Rennen statt und im Dezember 2019 war die Arena Schauplatz für internationalen Boxkampf (Schwergewicht). Die offizielle Grundsteinlegung für das Diriyah Gate Projekt erfolgte im November 2019 im Beisein von König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman. Gleich zu Beginn 2020 wurde mit dem Bau begonnen. Investoren aus aller Welt stehen Schlange. Es ist eine neue Generation von Unternehmern, die miterleben wollen, wie hier ein Ort von großer historischer Bedeutung zu einer globalen, kulturellen Attraktion wird.
Manch ein Einwohner der Gegend erinnert sich an das Diriyah in den 1970-er Jahren: „Damals hatte die Stadt rund 10.000 Einwohner. Ich erinnere mich an Wochenendbesuche mit meinen Eltern. Vor 50 Jahren kamen nur ein paar hundert Besucher. Mich hat besonders die traditionelle Lehmarchitektur fasziniert“, so Ali Al Ruzeiza, heute berühmter Künstler, der der traditionellen Kunst des Landes treu geblieben ist. „Wenn das Diriyah Gate Projekt im Jahr 2030 abgeschlossen sein wird, dann werden bis zu 30 Millionen Besucher jährlich erwartet, das sieht der Plan vor. Diese Besucher können dann unvergessliche Kultur-, Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportereignisse von Weltklasse genießen“. In seiner Begleitung darf ich Turaif betreten. - Als ich selbst im Jahr 2000 zum ersten Mal in Diriyah war - animiert von den historischen Fotos im Nationalmuseum - war ich der einzige Besucher, der durch die verlassenen Lehmruinen von Palästen, Moscheen und Wohnhäusern stapfte…
Das Besucherzentrum ist geöffnet. Hier kann man das Modell von Turaif aus Metall bestaunen, bekommt einen Übersichtsplan und einen Guide. Im Innern von Turaif führt ein Holzsteg den Besucher vorbei an den renovierten Palästen. Wenn man Glück hat, ist der Omar bin Saud Palast geöffnet. Man kann die Innenarchitektur mit Säulen umstandenem Innenhof besichtigen und vom Dach des Palastes die Aussicht über ganz Diriyah genießen. Das Arabian Horse Museum ist fertig, aber noch nicht offiziell eröffnet. Im Innern wird alles thematisiert, was das Arabische Pferd betrifft und es gibt neben vielen traditionellen Gegenständen, wie Sättel und bestickte Decken, eine Vielzahl von s/w Fotos des Königs Abdulaziz, der als Pferdenarr galt. Außerdem lernt man, dass Prophet Mohammed sechs Pferde hatte: Al Sakb (leicht und schnell), Al Murtajaz (besonders schön), Al Lazaz (stark), Al Lahif (mit besonders langem Schweif), Sabha (schnell) und Al Darab (stark). Gut gelungen sind die großen Glasflächen, die mit farbigen traditionellen Szenen geschmückt sind.
Offiziell ist Turaif für Besucher noch gesperrt. Nur bei besonderen Anlässen, z. B. bei Tagungen der Sherpa-Gruppen, die den G20-Gipfel am 21./22. November 2020 vorbereiten, ist der Zugang in eingeschränktem Maße möglich. Einzelne VIP-Gruppen können den Ort nach Voranmeldung besichtigen. Diriyah zieht trotzdem viele Besucher an, denn in unmittelbarer Nähe zu den renovierten Palästen wurde hier Ende 2019 das Volksfest „Diriyah Season“ gefeiert. Zudem ist die Renovierung des gegenüber Turaif gelegenen Stadtteil Bujairi abgeschlossen. Das Wadi Hanifah trennt Diriyah und Bujairi. Anziehungspunkte in Bujairi sind die große Moschee, das stets offene, neue Kulturministerium, ein riesiger, sehr beliebter Park, gestaltet von Richard Bödeker, dem im November 2019 verstorbenen deutschen Landschaftsarchitekten, viele neue Geschäfte, Boutiquen und Restaurants. Die Besucher wandeln auf Auto-freien Wegen, genießen die neuen Kunstwerke in Form großer Skulpturen und die vielen Wasserspiele. Die Brücke über das Wadi zum gegenüberliegenden Stadtteil Turaif ist fertig, aber meist gesperrt. Hier versammeln sich abends viele Menschen, um die „Light and Sound Show“ auf der Fassade der Lehmpaläste zu sehen. Diese enthält neben wechselndem Farbenspiel auf den Wänden eine qualitätsmäßig hervorragende Lasershow über die Geschichte der Stadt.
Internet: https://dgda.gov.sa/Home.aspx?lang=en-us
Text und Fotos: Barbara Schumacher, Beiratsmitglied der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG)
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