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23.12.2013

 

INTERVIEW MIT PIERRE KRÄHENBÜHL «Allen Menschen Hoffnung geben»

 

Gisela Blau, 20. Dezember 2013 - Der bisherige Einsatzleiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) wurde von der Uno per Ende März zum neuen Generalkommissar des Uno-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) ernannt

 

TACHLES: Pierre Krähenbühl, Sie blicken auf 22 spannende Jahre beim IKRK zurück, davon die letzten 12 als Chief of Operations. Bei der UNWRA erwartet Sie eine ganz andere Tätigkeit.

PIERRE KRÄHENBÜHL: Ich stehe vor einem institutionellen und persönlichen Kulturwandel, aber ich freue mich darüber, denn es ist eher selten, gleichzeitig eine Organisation zu führen und direkt an Ort und Stelle tätig zu werden. Die Uno-Hilfswerke befinden sich sonst meist in Genf, Wien oder New York, aber mein neuer Arbeitsort Jerusalem ist etwas Besonderes, Bereicherndes.
 
Kennen Sie Jerusalem?
Ich war ein paarmal dort, zu Besuch bei IKRK-Kollegen als operationeller Direktor, sowohl in Jerusalem wie im Westjordanland und im Gazastreifen, ich hatte mit den palästinensischen und den isrlaelischen Behörden zu tun. Aber es ist eine ganz andere Erfahrung, ob man einen Ort besucht oder ob man dort lebt und sich einleben muss, auch gerade in einer Situation mit tiefer Polarisierung. Ich muss diese nun anders betrachten, muss lernen, den Dialog in nächster Nähe zu führen. Ich weiss, dass die Lage schwierig und die Erwartungen verschieden und widersprüchlich sind.

Wo werden Sie in Jerusalem arbeiten?
Der Hauptsitz befindet sich in Ostjerusalem, es gibt Vertretungen in den Einsatzländern, auch in den besetzten Gebieten. Ich muss beginnen, Beziehungen aufzubauen mit den politischen Behörden dieser Länder, auch mit den israelischen. Es werden grosse Fragen zu diskutieren sein. Ich möchte nicht im Voraus beurteilen oder verurteilen, sondern einen Dialog führen. Auch Kritik kann Teil des Dialogs sein, es ist möglich, dass sich Erwartungen nicht erfüllen. Verschiedene Perspektiven einzubinden ist eine neue Rolle, die ich erst einmal besser verstehen möchte.

Vom IKRK sind Sie daran gewöhnt, mit verschiedenen, nicht nur staatlichen, Gruppen zu verhandeln.
Gegenwärtig hat das IKRK Kontakt mit 40 bewaffneten Gruppen. Sie sind stark fragmentiert, manchmal sogar wie in Syrien innerhalb der Gruppen ohne viel Übersicht oder eine Kommandostruktur. Von Damaskus nach Aleppo passieren unsere Leute 65 unterschiedlich bemannte Checkpoints.

Solche Einsätze erfordern persönlichen Mut.
So ist es. Manchmal sollte man auch nicht zu mutig sein, sondern auf den Rat der lokalen Angestellten hören. In der Rolle des Einsatzleiters bestand der grösste Druck darin, zu entscheiden, ob jede mögliche vorstellbare Massnahme ergriffen wurde, um so viel Sicherheit wie möglich für die Kollegen zu gewährleisten. Das bedeutete eine grosse Verantwortung.

Welche Konfliktregionen haben Sie 
am stärksten beschäftigt?
Sehr geprägt bin ich von persönlichen Erfahrungen im Einsatz in Peru, weil sie auf der menschlichen Ebene sehr schwer waren. Ich fuhr in den Anden zu Dörfern auf 2500 Metern, die sich mitten im Kampfgebiet der Regierungstruppen und des «Leuchtenden Pfads» befanden. Afghanistan hat mich geprägt, weil ich das Land und die Leute mag …

… und Sie haben eine Afghanin 
geheiratet!
Richtig, meine Frau engagiert sich sehr für die Bildung der afghanischen Frauen. Es ist ein Land wie die Schweiz, ohne Blick aufs Meer, wo man in sich hineinschaut und es nicht schätzt, wenn Leute aus dem Ausland einem sagen wollen, was zu tun sei. Auch die Jahre in Bosnien waren sehr wichtig, weil ich als Europäer leider erleben musste, dass es auf unserem Kontinent wieder Krieg gab. Ich habe gelernt, mir die Frage zustellen, auf welcher Seite ich gewesen wäre, wäre es mein Land gewesen. Was schützt einen davor? Wir sahen es zur Genüge im Zweiten Weltkrieg. Es gab Bildung und Kultur und dann die fürchterlichen Gewalttaten bis hin zum Genozid. Ich stelle mir immer diese Frage, sie ist immer präsent. Das hilft, bescheiden zu bleiben, und, so hoffe ich, nie zu vergessen, dass es auch eine andere Perspektive in einer Frage gibt.

Kennen Sie die Einsatzländer der 
UNRWA?
Ich hatte lang vor meiner Ernennung Kontakte, aus Afghanistan und Bosnien. Kollegen, die vorher beim IKRK waren und jetzt für die UNWRA tätig sind, kannte ich von Besuchen. Wir haben bei gewissen Fragen, beispielsweise beim Gazastreifen während der intensiven Wochen des Jahres 2009 von «Cast Lead» bei Bedürfnissen der Bevölkerung die Arbeit koordiniert. Im Unterschied zum IKRK kommt für mich nun eine Art staatliche Rolle dazu, denn ein Teil der Aktivitäten, Erziehungs- und Gesundheitsprojekte, geht über die traditionellen humanitären Noteinsätze in eine andere Dimension, da muss ich noch viel lernen, da fehlen mir gewisse Ansatzpunkte.

Zum Beispiel?
Die Tiefe ist noch nicht präsent. Zuerst muss ich noch wichtige Themen beim IKRK abschliessen, dann kann ich mich besser auf die neue Aufgabe konzentrieren. Aber ich bekam schon während der Kandidatur Kontakt mit anderen Ländern, die Beiträge an die UNRWA zahlen, auch mit Israel, aber noch nicht aus nächster Nähe. Wichtig ist mir die Bewahrung der Qualität der Hauptprojekte Erziehung und Gesundheit, denn die Zahl der Flüchtlinge ist gewachsen, aber die Mittel bleiben knapp. Es ist gegenwärtig auch für das IKRK schwierig, für das Palästinenserthema Interesse zu wecken, weil sich das Umfeld so verändert hat. Man spricht hauptsächlich von syrischen Flüchtlingen und vergisst die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien, die flüchteten oder in Syrien blieben. Auch der Israel-Palästina-Konflikt scheint nicht so zentral zu sein. Wichtig wird sein, wie ich den Dialog mit palästinensischen Behörden, Jordanien, Libanon, Syrien und Israel aufbaue. Es wird nicht die gleiche Dynamik wie beim IKRK geben, sondern sehr wesentlich vertiefte Gespräche.

Nach Ihrer Nomination verwendete 
die «Neue Zürcher Zeitung» den Titel «Frischer Wind für Palästina».
Da muss ich bescheiden bleiben, denn ich denke an alle Perspektiven der Lage, auch an die Sicherheitssorgen von Israel, die verstanden und anerkannt werden müssen. Seit Ende der vierziger Jahre ist es zu keiner Lösung gekommen. Für mich ist ausschlaggebend, was das für die Menschen heisst, wenn man an Familien denkt und nicht nur an Statistiken oder Identitäten. Ich sah das in vielen Konfliktgebieten, in Kolumbien gibt es seit 50, im Kongo seit 30, in Afghanistan seit 35 Jahren keine Lösung. Das ist auch zwischen Palästinensern und Israel der Fall, darum ist es mir unheimlich wichtig, die Lage gut zu verstehen und mir Zeit dafür zu nehmen. Ich sah es beim IKRK, ich hoffe, dass es auch bei der UNRWA wichtig sein wird, ein wenig Hoffnung zu bringen. Ich bin jemand, der versucht, positiv zu bleiben. Man engagiert sich, weil es schwierig ist, aber nicht weil die Lage hoffnungslos ist, sondern weil man Hoffnung schaffen muss.

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HINTERGRUND
Fragen offen lassen
Gisela Blau, 20. Dezember 2013

Der Genfer Politologe Pierre Krähenbühl wird am 8. Januar 48 Jahre alt. Er arbeitete seit 1991 für das IKRK. 2002 wurde er zum Einsatzleiter ernannt. Nach dreimal vier Jahren geht seine Amtszeit in Genf obligatorisch zu Ende. Auf den 30. März 2014 ernannte ihn die Uno zum Generalkommissar für die UNRWA in Jerusalem. tachles stellte Krähenbühl eine Reihe von Fragen zur UNRWA, beispielsweise, weshalb die palästinensischen Flüchtlinge nicht vom normalen Uno-Flüchtlingshilfswerk betreut werden, oder weshalb sie den Flüchtlingsstatus auf Kinder und Kindeskinder vererben dürfen, sodass sie statt der 800 000 Flüchtlinge des Jahres 1948 heute mehr als fünf Millionen zählen. Oder was die auch von der Schweiz finanzierte UNRWA gegen die palästinensischen Schulbücher tut, die Hass auf Israel verbreiten. Pierre Krähenbühl wollte und konnte diese Fragen vor seinem Amtsantritt noch nicht beantworten. Er schlug ein weiteres Gespräch später im Jahr 2014 vor.

Quelle: tachles.ch

 

   

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