43 ehemalige Soldaten aus einer Geheimdiensteinheit prangern Israel
als Besatzungsregime an. Es ist eine harsche Abrechnung und ein
mutiger Schritt - für die meisten Israelis sind sie Verräter.
David heißt nicht David, aber seinen richtigen Namen darf man nicht
nennen. Er ist 29 Jahre alt, acht davon war er Mitglied des
Militärgeheimdienstes der israelischen Armee. Bis er vor drei Jahren
aus dem aktiven Dienst ausschied, diente er der Eliteeinheit 8200 als
Kommandant. Danach war er noch Reservist, doch das ist vorbei. Jetzt
sitzt er in Ringelshirt und Jeans auf einer Fensterbank, die Sonne,
die durch die Jalousien fällt, schraffiert seinen Rücken. "Ich habe
meinen Job sehr ernstgenommen", sagt David, und es passt zu seinem
schmalen, ernsten Gesicht. Acht Jahre sind eine lange Zeit.
Aber irgendwann ging es nicht mehr: Da waren all die Fragen, auf die
er keine Antwort bekam. Viele Lügen. Und immer wieder der Satz: "Es
gibt keine falschen Befehle." Als guter Soldat befolgt man Befehle.
Man stellt sie nicht in Frage.
Man denkt deshalb lieber nicht länger darüber nach, warum die sexuelle
Orientierung eines Palästinensers für den israelischen Geheimdienst so
wichtig ist, oder wofür die Information über eine schwere
Krebserkrankung der Ehefrau verwendet werden kann. David hat solche
Informationen gesammelt, jahrelang. Er hat sie weitergegeben, an seine
Vorgesetzten. Und wusste natürlich, dass diese Menschen, die ganz klar
kein Sicherheitsrisiko für sein Land darstellten, damit von der Armee
und den Geheimdiensten zur Zusammenarbeit erpresst werden.
David schüttelt den Kopf und erklärt sein Problem: "Hier geht es nicht
um die Selbstverteidigung des israelischen Staates, hier geht es
darum, ein anderes Volk so effektiv wie möglich zu unterdrücken." Und
weil das seiner Ansicht nach so nicht sein soll, sitzt er jetzt
zusammen mit drei Gleichgesinnten in der Wohnung seiner Eltern und
erläutert seine Entscheidung.
Die drei haben, gemeinsam mit 40 anderen ehemaligen
Militärgeheimdienstlern, einen Brief an Premierminister Benjamin
Netanjahu geschrieben, an den Chef der Armee und des
Militärgeheimdienstes. Darin steht, dass sie, allesamt Veteranen der
Eliteeinheit 8200 und bis heute Reservisten, sich nie mehr an
"Aktionen gegen Palästinenser" beteiligen werden. Weil sie keine
"Instrumente der israelischen Besatzung" sein wollen.
Seit 47 Jahren besetzt Israel nun das Westjordanland und "das
Militärregime verweigert den Palästinensern dort Grundrechte", wie es
in dem Brief heißt. Die dort geschaffene Realität, in der für jüdische
Siedler und palästinensische Anwohner zwei unterschiedliche
Rechtssysteme gelten, die einem Teil - den Siedlern - Rechte
zubilligen, die sie dem anderen Teil - den Palästinensern -
verweigern, sei "kein unausweichliches Ergebnis einer notwendigen
Selbstverteidigung". Diese Realität sehe so aus, weil die israelischen
Regierungen sie sukzessive so gewählt hätten. Genauso verhalte es sich
auch mit Entscheidungen zur Landenteignung, mit dem Verlauf der
Sperranlage, oder mit wirtschaftlichen Restriktionen.
Ein moralisches Dilemma kennt die Armee nicht
Es ist die erste offene Verweigerung dieser Art seit 14 Jahren und
eine harsche Abrechnung mit dem Vorgehen Israels als Besatzungsmacht.
Denn die Kritik kommt diesmal aus dem Herzen des Systems, der Armee
nämlich, das die Besatzung aufrecht hält.
Die Courage derjenigen, die diesen Brief unterzeichnet haben, ist umso
höher zu schätzen, als dass der Hass auf Menschen, die dem immer
nationalistischeren Mainstream nicht folgen wollen, selten so offen
zutage tritt wie derzeit.
Er habe Angst, von Freunden und Kollegen als Verräter beschimpft zu
werden, sagt David. Aber die Angst war nicht größer als sein
schlechtes Gewissen. "Was wir im Westjordanland und im Gaza-Streifen
tun, ist nicht richtig", sagt er. Und selbst wenn es einem dauernd
gesagt werde, das Informationen-Sammeln sei eben "keine saubere
Sache". David glaubt, dass das "System Armee" deshalb so gut
funktioniert, weil jedem einzelnen - egal ob Geheimdienstler oder
Luftwaffenpilot - suggeriert werde, er trage für das, was er tue,
keine Verantwortung. Weil er ja nur die Befehle befolge.
Ihm selbst wurde bewusst, wie manipulativ dieses System ist, als er
den Fall einer sogenannten gezielten Tötung recherchierte, die anders,
als seine Vorgesetzten behaupteten, nicht der Sicherheit seines Landes
diente, sondern einen reinen Racheakt darstellte. Ein Racheakt, bei
dem völlig unschuldige Zivilisten, in diesem Fall eine ganze Familie,
ums Leben kamen.
Ein moralisches Dilemma kenne die Armee nicht, sagt Noa, auch sie
gehört zu den Unterzeichnern des Briefs. "Wir können alles, deshalb
dürfen wir alles", laute die Maxime. Während die Zahl der
Unschuldigen, die diesem Prinzip zum Opfer fallen, stetig steigt -
bestes Beispiel dafür ist der letzte Gaza-Krieg - stumpft die
israelische Bevölkerung immer mehr ab, wenn es um das Leid anderer
geht. Wurde vor zehn Jahren noch über gezielte Tötungen als
militärisches Mittel kontrovers diskutiert, gehören sie inzwischen zum
probaten Repertoire. Auch aus diesem Grund haben sich die
Geheimdienst-Reservisten entschlossen, ihre Zweifel in die
Öffentlichkeit zu tragen. Palästinenser seien für die israelische
Armee mittlerweile weniger Menschen, als vielmehr bloße "Ziele", sagt
Nadav, der fünf Jahre lang gedient hat, zuletzt als Unteroffizier.
Was man mit diesen "Zielen" alles erreichen kann, davon will er jetzt
nichts mehr wissen.
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< Fünf EU-Staaten protestieren offiziell gegen Landenteignung in der Westbank